Rassismus im Fußball: 2019 war ein Jahr der Schande

Der Fußball wurde 2019 von einem fremdenfeindlichen Skandal nach dem anderen heimgesucht. Es war ein Jahr, das als dunkles Kapitel in die Sportgeschichte eingehen wird – auch in die deutsche.

"No Room For Racism" - tatsächlich war 2019 jede Menge Platz für Rassismus im Fußball. (Bild: Getty Images)
"No Room For Racism" - tatsächlich war 2019 jede Menge Platz für Rassismus im Fußball. (Bild: Getty Images)

Eine oft bemühte Phrase im Fußball, einem Sport, in dem sehr gerne sehr oft Phrasen bemüht werden, lautet: Die Menschen, die in die Stadien pilgern, sind ein Spiegelbild, ein Querschnitt der Gesellschaft. Die Wahrheit – wie groß auch immer sie sein mag -, die dieser Aussage innewohnt, würde erklären, warum die Anfang der 2010er-Jahre verstärkt gelebte Toleranz zum Ende des Jahrzehnts immer öfter der hässlichen Fratze des Rassismus weichen muss. Denn trotz allem Werben von Verbänden, Organisationen und Stars für Vielfalt und Offenheit: Mit jedem Zentimeter, den die politische Rechte und ihre Anhänger die Grenzen des Sagbaren in ihre Richtung verschieben, verschiebt sich diese Grenze auch in den Stadien.

Dazu müsste man nicht einmal in eine Stadt wie Chemnitz gehen, eine Stadt, die seit den Ausschreitungen vom Sommer 2018 zum Synonym für die nationalistische Radikalisierung geworden ist. Beim dortigen Fußballklub, dem Chemnitzer FC, erpressten Ultras unter Androhung massiver Ausschreitungen vor einem Drittligaspiel eine Trauerfeier für einen verstorbenen Fan. Ein Bild von ihm war auf der Stadionleinwand zu sehen, es gab eine Rede des Stadionsprechers und eine Schweigeminute. Das Problem: Der verstorbene Thomas Haller war ein bekannter Neonazi, Mitgründer des mittlerweile aufgelösten Netzwerks HooNaRa ("Hooligans, Nazis und Rassisten") und der Fangruppierungen NS Boys und Kaotic, sein Name taucht im direkten Umfeld des NSU auf. Dass Chemnitz seinen Kapitän Daniel Frahn wegen angeblicher Nähe zu Rechtsradikalen entließ und die Anhänger mehrfach rassistische und gegen die eigene Klubführung antisemitische Sprechchöre anstimmten, waren di weiteren Schlagzeilen, die der Verein im vergangenen Jahr produzierte.

Die Täter müssen keine Strafen fürchten

Ebenso fassungslos machte im März ein Video des Sportjournalisten André Voigt, der beim Länderspiel zwischen Deutschland und Serbien Zeuge wurde, wie Leroy Sané und Ilkay Gündogan massiv beleidigt wurden – und niemand einschritt. Ein Fan-Trio, das sich nach Veröffentlichung des Videos stellte, gab laut Staatsanwaltschaft zu, "einige Spieler als Neger, Bimbo oder Türke betitelt zu haben. Dies sei jedoch ohne rassistischen Hintergrund geschehen." Zwei der drei Männer kamen straffrei davon, der dritte würde zu einer Geldstrafe von 2400 Euro verurteilt – aber nur, weil er zudem "Sieg Heil" skandiert hatte.

Es ist einer der großen Gründe, warum sich derartige Verhaltensweisen wieder in die Stadien und auf die Sportplätze schleichen: Die Konsequenzen für die Täter sind ein Witz, milde bis nichtexistent. Man denke nur an Clemens Tönnies. Der Schalke-Boss hatte sich bei einer Rede für die Finanzierung von Kraftwerken in Afrika stark gemacht, weil "dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn's dunkel ist, Kinder zu produzieren". Klub und Ehrenrat hielten den Rassismusvorwurf für "unbegründet", Tönnies verordnete sich selbst eine dreimonatige Fußballauszeit und ist mittlerweile wieder zurück.

Die Serie A versuchte, eine ganz besondere Anti-Rassismus-Kampagne zu starten. (Bild: Getty Images)
Die Serie A versuchte, eine ganz besondere Anti-Rassismus-Kampagne zu starten. (Bild: Getty Images)

Kampagne gegen Rassismus – mit Affen

So viele dunkle Kapitel der deutsche Fußball 2019 auch schreib: Rassismus und der Umgang mit Selbigem sind freilich kein allein deutsches Problem. In Italien, wo Fremdenfeindlichkeit zur Fankultur gehört, wurde gerade eine Antidiskriminierungskampagne gestartet. Dort zu sehen: Affenköpfe, bemalt mit Farbe. Gemeint als "Metapher für Menschen, weil unsere Hautfarbe nicht wichtig ist" so der verantwortliche Künstler Simone Fugazzotto. Ein "makaberer Witz", findet das internationale Anti-Diskriminierungsnetzwerk FARE. Dass es in den Stadien Italiens trauriger Alltag ist, dass dunkelhäutige Spieler bevorzugt mit Affenlauten beleidigt werden, macht diese Kampagne so unfassbar.

Als Inter Mailands Romelu Lukaku im Spiel gegen Cagliari auf die gleiche Weise angegangen wurde, meldeten sich Inters Ultras aus der Curva Nord mit einem offenen Brief an den Stürmer zu Wort – und sprangen den Fans aus Cagliari zur Seite. Das alles sei natürlich nicht rassistisch gemeint, sondern nur ein gebräuchlicher Weg, "den Gegner nervös zu machen". Ihre Bitte: "Hilf uns, der Welt zu erklären, was Rassismus wirklich ist und dass italienische Fans nicht rassistisch sind." Vermutlich genauso wenig rassistisch wie die bulgarischen Fans, die das EM-Qualifikationsspiel gegen England mit hasserfüllten Sprechchören und Hitlergrüßen an den Rand des Abbruchs trieben. Oder die Tottenham-Anhänger, die im London-Derby jüngst Antonio Rüdiger mit Affenlauten beleidigten, sodass der Schiedsrichter mehrere Stadiondurchsagen veranlassen musste.

In Spanien würde nun übrigens erstmals in der Geschichte ein Spiel wegen Schmähgesängen von der Tribüne abgebrochen. Die Zweitligapartie zwischen Rayo Vallecano und Albacete Balompié wurde nach der Halbzeit nicht mehr angepfiffen, weil die linksgerichteten Heimfans Albacete-Spieler Roman Sosulja erst sarkastisch als Kommunisten, dann nicht mehr sarkastisch als "puta nazi", also sinngemäß "Scheiß-Nazi" besangen. Ein Spieler, der vor zwei Jahren kurz vor einem Wechsel zu ihrem eigenen Klub stand, was am Ende aber auch am Widerstand der Fanszene scheiterte, die sich massiv an mehreren Fotos störte, die bei Sosulja mindestens Sympathien für ultranationale Gruppierungen und zweifelhafte Persönlichkeiten aus seiner ukrainischen Heimat erahnen lassen.

"Wir müssen den Spielern die Macht geben, vom Platz zu gehen"

Es gibt zu denken, dass es "Scheiß-Nazi"-Rufe waren, die es gebraucht hat, damit ein Spiel abgebrochen wird. Keinen der anderen, beinahe zahllosen Vorfälle, die auf Fremdenfeindlichkeit und Rassismus fußen. So wird der ohnehin mit Platzpatronen geführte Kampf gegen derartige Tendenzen noch unglaubwürdiger. Auch wenn Leute wie FIFA-Präsident Gianni Infantino gebetsmühlenartig von einer "abscheulichen Krankheit" sprechen, die immer schlimmer zu werden scheint.

Doch was tun? Gary Neville, der ehemalige englische Nationalspieler, fand im Anschluss an das skandalöse London-Derby erstaunlich klare Worte. Er erklärte das Verhalten damit, dass es von der Politik – im Fall Englands von den Chefs der beiden großen Parteien – befeuert und akzeptiert werden würde. "Wenn das im höchsten Amt des Landes akzeptiert ist", sagte Neville, "dann reden wir nicht von einem Mikrolevel, wir reden von einem enormen Level". Dem Mythos vom Einzelfall stellte er sich entgegen, "es ist ein weit größeres Problem und es muss schnell etwas passieren". Sein Vorschlag: "Am Ende müssen wir den Spielern die Macht geben, vom Platz zu gehen. Und das Entertainment zu stoppen, während es passiert." Es ist ein bedrohliches Zeichen, dass Neville das als einzige Möglichkeit sieht, etwas zu erreichen. Und damit vielleicht sogar recht hat.