Die Rehabilitierung eines Ex-Wunderkindes

Die Rehabilitierung eines Ex-Wunderkindes
Die Rehabilitierung eines Ex-Wunderkindes

Alina Reh kämpfte im Ziel von Dublin mit den Freudentränen.

Nach einem eher gemächlichen Start bei der Cross-EM am vergangenen Sonntag hatte sie fast alle vor ihr liegenden Konkurrentinnen eingesammelt und am Ende überraschend die Bronzemedaille gewonnen.

Sogar die deutlich höher eingestufte Konstanze Klosterhalfen, Deutschlands Superstar der Langstreckenszene, hatte Reh stehen lassen – und nun stand sie im Ziel und konnte ihr Glück kaum fassen.

„Mit einer Medaille habe ich nicht gerechnet. Die Top 10 zu erreichen war mein großes Ziel, mit den Top 5 habe ich so ein wenig geliebäugelt, aber eine Medaille hätte ich mir nicht ausrechnen können“, sagt die 24-Jährige nach ihrem Coup bei SPORT1.

Umzug nach Berlin geht nach hinten los

In den vergangenen Jahren waren die Entwicklungen von Klosterhalfen und Reh, die sich im Teenageralter noch auf ähnlichem Level duellierten und früh als Wunderläuferinnen tituliert wurden, immer weiter auseinandergegangen. Während „Koko“ in die USA zog und sich zu einer Weltklasseläuferin entwickelte, bleib Reh lieber in der Heimat – und stagnierte.

Klosterhalfen nutzte das hochprofessionelle Umfeld des (vormaligen) Nike Oregon Project, um sich schrittweise zu verbessern und immer näher an die Weltspitze heranzurücken. Mit der Bronzemedaille bei der WM in Doha 2019 gelang ihr schließlich der erste Coup.

Reh verbesserte sich zwar auch, doch längst nicht in der gleichen Geschwindigkeit wie ihre prominente DLV-Kollegin. „Es ist schon so, dass ich immer geschaut habe, was sie macht. Das war auch einer der Gründe, warum ich nach Berlin ging, weil ich professioneller arbeiten wollte“, erklärt Reh.

Allerdings erwies sich der Schritt zu André Höhne in die Hauptstadt für die heimatverbundene Läuferin als wenig leistungsfördernd. „Ich habe gemerkt, dass ich mich wohlfühlen muss, um zu arbeiten. Konstanze fühlt sich sehr wohl in den USA und deswegen funktioniert es auch.“

„Während Olympia war ich in einem kleinen Loch“

Bei ihr funktionierte es nicht - also beendete sie im vergangenen Sommer die kurze Zusammenarbeit mit dem früheren Weltklasse-Geher und kehrte zurück zu ihrem früheren Coach Jürgen Kerl.

„Es war eine schwere Zeit“, schildert sie die Zeit im vergangenen Sommer, als sie die Spiele in Tokio verletzungsbedingt verpasste. „Während Olympia war ich in einem kleinen Loch und hatte Schwierigkeiten die Wettkämpfe zu verfolgen.“

Mit Platz 3 bei der Cross-EM und dem deutschen Meistertitel eine Woche später hat Reh den idealen Start in eine neue Phase hingelegt. In der anstehenden Hallensaison will sie ein paar Läufe mitnehmen, der Fokus liegt aber schon ganz klar auf der WM in Eugene – und vor allem auf der EM in München.

„Im Optimalfall kann ich bei der WM die 5000 Meter laufen und bei der EM dann die 10.000 Meter“, hat sie bereits die Streckenauswahl im Kopf.

Spätestens dann will sie ihrer Freundin „Koko“ den Deutschen Rekord über die 10.000 Meter (31:01,71 Minuten) abluchsen und als erste Deutsche unter 31 Minuten laufen. „Das wäre natürlich ein Traum“, sagt Reh, die jedoch weiß, dass auch Klosterhalfen noch Steigerungspotenziale hat.

Reh und Klosterhalfen pushen sich

„Wir haben uns jetzt zwei Jahre nicht gesehen, da war es schön, dass wir jetzt ein Wochenende Zeit hatten, um uns ein wenig intensiver zu unterhalten“, erzählt Reh über den gemeinsamen Trip nach Dublin.

„Wir verstehen uns gut, da wir das Sportliche und das Private gut voneinander trennen können, deshalb harmonieren wir so gut.“ Klosterhalfen und Reh – auf der Mittel- und Langstrecke scheint die deutsche Leichtathletik für die kommenden Jahre gerüstet.

„Es ist schon cool, wenn man Konkurrenz in den eigenen Reihen hat, das pusht einen schon“, verrät die Läuferin, die trotz ihres Wechsels zurück in die Heimat weiter für den SSC Berlin startet.

Auf den Hügeln der Schwäbischen Alb will Alina Reh nun die Voraussetzungen für ihren Traum einer EM-Medaille legen – streng genommen wäre es schon ihre zweite.

2018 in Berlin war sie über 10.000 Meter zwar Vierte gewonnen, doch die Schwedin Meraf Bahta wurde wegen verpasster Dopingtests nachträglich disqualifiziert, so dass Reh auf den Bronzerang vorrückte.

„Die Medaille habe ich bis heute nicht bekommen, mal schauen, ob sie irgendwann nochmal den Weg zu mir findet“, sagt sie – doch wichtig ist ihr das nicht.

Edelmetall will Alina Reh auf der Tartanbahn gewinnen, um dann auf dem Treppchen mit den deutschen Fans zu feiern. Dann würden die Freudentränen garantiert wieder fließen.