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"Respektlos": Deutscher WM-Streit erregt Langlauf-Elite

"Respektlos": Deutscher WM-Streit erregt Langlauf-Elite
"Respektlos": Deutscher WM-Streit erregt Langlauf-Elite

Es ist eine Debatte, die weit über das Sportliche hinausgeht.

Im Mittelpunkt: Langlauf-Superstar Therese Johaug, ein Vorschlag des deutschen Chefcoaches Peter Schlickenrieder mit Sprengkraft und die Reaktion des ehemaligen Bundestrainers Joachim Behle darauf bei SPORT1.

Johaug, die am Samstag im Klassiker über 30 km mit dem schier unglaublichen Vorsprung von 2:34,2 Minuten gewann, obwohl sie am Ende austrudeln ließ, avancierte mit vier Goldmedaillen zur Königin der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf.

Behle kritisiert Schlickenrieders BMI-Plan

Auf die Leistungen der überragenden Norwegerin angesprochen, hatte Schlickenrieder ernüchtert reagiert.

"Ich habe keine Erklärung", sagte der 51-Jährige, der die Gesundheit einiger Sportler in Gefahr sieht: "Das Einzige, was ich definitiv einführen würde, wäre so ein BMI. Bei einer gewissen Gewichtsgrenze würde ich Athleten nicht mehr an den Start lassen. (Zeitplan der Nordischen Ski-WM 2021 in Oberstdorf)

Der Vorstoß, den aus Verhältnis von Körpergröße und -gewicht berechneten Body Mass Index (BMI) zu berücksichtigen, sorgte zunächst für Irritationen im eigenen Land, ehe die Konter aus Norwegen folgten.

"Der von ihm vorgeschlagene BMI bringt natürlich im Langlauf-Bereich gar nichts", erklärte Schlickenrieders Vor-Vorgänger Behle im Interview bei SPORT1.

"Unprofessionell und respektlos": Gegenwind für deutschen Coach

Relevant wäre in einem Ausdauersport wie dem Langlauf, der so konzipiert ist, "dass die schweren Sportler kaum eine Chance haben", höchstens der Körperfettanteil.

Doch selbst diesen bei jedem Sportler zu messen, empfindet Behle als "sinnlos. So ein Vorstoß ist zu einer WM völlig unpassend. Diese Sportlerinnen haben sich nicht verändert, die laufen schon seit Jahren so herum." (Langlauf-Debakel! Erfolgscoach kritisiert Wohlfühloase)

Nach der Reaktion Behles erregte die Thematik auch die Gemüter in Schweden – der schwedische SportsExpressen sprach gar mit SPORT1-Redakteurin Franziska Wendler - und Norwegen.

Schlickenrieders Vorstoß sei "unprofessionell und respektlos von einem Mann in seiner Position", sagte Norwegens Nationaltrainer Ole Morten Iversen dem Dagbladet.

Schlickenrieder macht sich keine Freunde

Sein Rat an den deutschen Kollegen: "Größeren Fokus auf das Training und die Trainingskultur zu legen, wenn die deutschen Mädchen schneller werden sollen."

Auch Behle hatte bei SPORT1 eine Portion Enttäuschung als Auslöser von Schlickenrieders Meinung vermutet. "Im Moment ist es der Frust, dass man keine Sportlerin hat, die so schnell laufen kann, wie die, die ein bisschen dünner sind als die deutschen Athletinnen", sagte der 60-Jährige.

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Schlickenrieder habe sich "im Kreis der Trainer, vor allem bei den anderen Nationen, nicht unbedingt Freunde gemacht. Außer ihm würde wahrlich keiner einen solchen Vorschlag befürworten." Eine Einschätzung, die sich in Iversens Antwort bewahrheitete.

Johaug wirft Schlickenrieder Unwissenheit vor

Und was sagt Johaug selbst?

"Ich bin nicht überrascht, nein", sagte die 32-Jährige, die bei einer Größe von 1,62 Meter inzwischen knapp unter 46 Kilogramm wiegen soll, dem Dagladet: "Er (Schlickenrieder, Anm. d. Red.) muss sich damit vertraut machen, was hier in Norwegen und anderen Ländern getan wird, bevor er über solche Dinge spricht."

Schlickenrieder, der bereits 2019 in seiner damaligen Rolle als TV-Experte Zweifel an Johaug geäußert hatte, habe zwar "das Recht, so zu denken. Aber wir wissen, dass wir in Norwegen bei diesem Thema weit voraus sind. Wir haben vor jeder Saison strenge Gesundheitstests und Kontrolluntersuchungen, um beim Weltcup starten und Norwegen vertreten zu dürfen."

Gesundheit steht bei Norwegen im Fokus

In der Vergangenheit wurden beispielsweise die Norwegerin Ingvild Östberg und die Schwedin Frida Karlsson, die am Samstag mit einer Handverletzung zu Bronze lief, vom eigenen Verband rausgezogen. (Weltcupstände im Skilanglauf)

"Unser medizinisches Team konzentriert sich darauf, dass wir Athleten mit der bestmöglichen Gesundheit starten, das hat oberste Priorität", ergänzte Johaug: "Deshalb sollte er (Schlickenrieder, Anm. d. Red.) vermutlich erst ein wenig lesen."

Auf die Vorwürfe ihres Trainers Iversen, Schlickenrieder sei unprofessionell, wollte sie nicht näher eingehen: "Ich denke: Er muss dafür einstehen, was er sagt. Darauf lege ich keinen Wert. Wir wissen, dass wir in Norwegen einen starken Fokus auf die Gesundheit des Athleten legen."

Schlickenrieder verwundert

Die Wucht der Kritik aus Norwegen wundert Schlickenrieder. (Skilanglauf-Weltcup: Kalender und Ergebnisse)

"Die einzigen Reaktionen, die ich bekam, waren, dass es gut ist, dass jemand es wagt, darüber zu sprechen", sagte der Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele 2002 bei SportExpressen.

So hatte die deutsche Athletin Pia Fink der Zeitung erklärt, es sei "schwer, etwas darüber zu sagen, aber wir müssen uns um die jungen Leute im Sport kümmern. Wir müssen es wagen, darüber zu sprechen."

Schlickenrieder weiter: "Wenn sie ein funktionierendes System haben, sollte es auch vom internationalen Skiverband angewandt werden. So wie ich das sehe, brauchen wir einen Weg, das zu kontrollieren, denn es gibt viel zu viele dünne Frauen an der Spitze im Moment."

Die nordische Ski-WM endete mit dem Männer-Rennen über 50 km klassisch am Sonntag. Die Magerwahn-Debatte wird aber sicher darüber hinaus weitergehen.

Denn Pierre Mignerey, der Wettbewerbsleiter der FIS, steht Schlickenrieders Idee alles andere als ablehnend gegenüber. "Ich bin offen dafür, dieses Thema auf den Tisch zu legen und die Angelegenheit zu diskutieren", sagte er dem SportsExpressen.