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Rost zu Schalke: "Man darf Schneider nicht mal böse sein"

Rost zu Schalke: "Man darf Schneider nicht mal böse sein"

Frank Rost war immer schon ein Freund von klaren Worten. Der frühere Torwart von Schalke 04 (2002 bis 2007) nimmt auch im SPORT1-Interview kein Blatt vor den Mund, als er über die schwere Krise bei S04 spricht und eine aktuelle Absage an Ex-Boss Clemens Tönnies mit deutlichen Worten einordnet. (Die Tabelle der Bundesliga)

SPORT1: Herr Rost, wo liegt das Grundproblem auf Schalke?

Frank Rost: Man muss sich wieder auf den Sport konzentrieren, auf das Wesentliche - das ist der Profifußball. Alles muss sich danach richten, dass das wieder funktioniert. Und das hat man auf Schalke nicht nur in den vergangenen Monaten, sondern in den vergangenen Jahren aus den Augen verloren. Es ging um sehr gut bezahlte Posten und darum, sich abfeiern zu lassen. Aber wenn du deine Finanzen nicht im Griff hast, dann werden dir in solch einer Situation wie der jetzigen mit der Pandemie die Grenzen aufgezeigt. Und so geht es gerade Schalke 04, weil man nicht gut gewirtschaftet hat.

SPORT1: Aber man hatte vor einigen Jahren doch nie daran gedacht, dass es mal so schlimm um den Verein stehen könnte.

Rost: Doch. Solch eine finanzielle Situation kann immer hinausgezögert werden, solange einer die Rechnung bezahlt. Und das war in der Vergangenheit der Fall. Egal, ob es ein Tönnies war, ob man eine Landesbürgschaft bekam oder ob auf Zahlungen vorgegriffen wurde, die in der Zukunft lagen. Bei all diesen Dingen wurden die tatsächlichen Fakten ignoriert und dann kann das in eine Situation führen, in der sich Schalke 04 jetzt befindet. Und ich sehe noch ein zweites großes Ding...

SPORT1: Nämlich?

Rost: Schalke 04 sieht sich gerne als Traditionsverein und als Malocher- und Kumpelklub. Und dem muss ich Tribut zollen. Wenn ich den Fans glaubhaft vermitteln will, dass das ein Malocher- und Kumpelklub ist, dann muss ich auch die Spieler dazu holen. Und weder vom Vorstand, noch von den Spielern ist aktuell jemand dabei, mit dem ich mich identifizieren kann. Das haben die Verantwortlichen in den vergangenen Jahren total außer Acht gelassen. Dann braucht man sich nicht wundern, dass so ein Ding auch mal in die andere Richtung geht. (Spielplan und Ergebnisse der Bundesliga)

Rost: "Niemand um die Lage zu beneiden"

SPORT1: Und nun ist das Kind in den Brunnen gefallen?

Rost: Ja. Jetzt ist man in einer Situation, die alles andere als schön ist. Die Finanzen drücken und die sportliche Talfahrt hält an. Das wird keine leichte Aufgabe, da das Ruder rum zu reißen. Um die jetzige Lage ist niemand zu beneiden.

SPORT1: Sportvorstand Jochen Schneider ist nach wie vor im Amt. Wundert Sie das?

Rost: Schon. Aber man behandelt auf Schalke unabhängig von Personen immer nur Symptome, und man geht nie wirklich an grundsätzliche Dinge ran. Da gab es in der Vergangenheit einen Riesen-Apparat mit gut bezahlten Jobs von verschiedensten handelnden Personen. Das Rad jetzt zurückzudrehen, ist verdammt schwer. Diese schlechten Nachrichten zu überbringen, wenn einer gehen muss, da gibt es nur noch ganz wenig Leute, die das können und dazu bereit sind. Schneider und die anderen Bosse sind froh, dass sie noch da sind, bezahlt werden und gut ist es. Wenn dann wieder einer entlassen wird, kommt halt der Nächste.

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SPORT1: Schneider griff bei David Wagner und auch bei Manuel Baum daneben. Ist Christian Gross seine letzte Patrone?

Rost: Das ist eine Entscheidung, die der Vorstand und Aufsichtsrat treffen muss. Man kann sich nur noch wundern. Ich habe für Schalke gespielt und kann mir ein Urteil bilden. Spieler haben immer bis zu einem gewissen Maß Unterstützung bekommen. Und wenn man sich für jemanden entscheidet, dann muss man ihm den Rücken stärken. Da kommen wir zu dem Torwart-Thema. Dann muss man auch mal gegen die Pfiffe des Publikums anarbeiten. Als Verantwortlicher, aber auch als Profi. Das mussten viele Spieler durchmachen. In der Vergangenheit mussten einige Pfiffe ertragen.

SPORT1: Der Fan auf Schalke verzeiht aber auch schnell.

Rost: Was die Schalker Anhänger schnell akzeptieren, ist, wenn einer da durch geht und wenn einer dann auch wieder Leistung bringt. Aber wer soll das bitte beurteilen? Kaum einer, der in der Verantwortung ist, hat selber nur ansatzweise so was mitgemacht oder kann das nachvollziehen. Da darf man einem Schneider eigentlich nicht mal böse sein, woher soll er das wissen? Woher soll er dieses Gefühl haben, wie sich ein Profi fühlt? Du musst ja zumindest mit Profifußball mal Geld verdient haben, dann kannst du Dinge besser nachvollziehen, warum der Einzelne so ist. Obwohl sich die Generation sicherlich gewandelt hat im Dschungel der Spielerberater.

"Ich werfe Schneider gar nichts vor"

SPORT1: Was werfen Sie Schneider vor?

Rost: Ich werfe ihm gar nichts vor. Nehmen wir aber zum Beispiel die Sache mit Alexander Nübel. Da wurde plötzlich von Robert Enke geredet, das war in meinen Augen fatal und pietätlos und hatte auch nichts mit der Sache zu tun. Oder wenn ich nur an die Diskussion um einen Salary-Cap denke, was absoluter Nonsens war. In Amerika funktioniert das in jeder Sportart unterschiedlich, da gibt es 40-Jahres-Verträge. Wenn ich die Möglichkeit habe, einen sehr guten Spieler zu bekommen, dann ist ja eine Gehaltsobergrenze eher hinderlich. Auf der anderen Seite gibt es auf Schalke Spieler, die 2,5 Millionen Euro verdienen. Das würden sie woanders nicht bekommen. Diese leidigen Diskussionen behindern nur. Andere Spieler werden alleine gelassen so nach dem Motto 'Nun mach mal!'

SPORT1: Was hat es Ihnen damals bedeutet, für Schalke zu spielen?

Rost: Für mich war es ein Klub, der Massen bewegt. Es ist immer schön, wenn du bei einem Fußballklub spielen kannst, der eine gewisse Aura hat, viele Menschen anzieht und irgendwas Besonderes hat. Das hat Schalke über Jahre bewiesen. Nichts ist schöner als mit Schalke 04 Erfolg zu haben. Ich kenne kaum jemanden im Ruhrgebiet, der nichts mit Fußball zu tun hat. Der Pott ist noch mal etwas anderes, da geht es einen Zacken emotionaler zu. Der Mensch, der aus dem Ruhrgebiet kommt, trägt sein Herz auf der Zunge. Und das darf man auch keinem übelnehmen. Aber man muss es wissen. Und deshalb muss ich so einen großen Klub gestalten, dass die Leute sich da wiederfinden und auch die Spieler, die den Verein auf dem Platz vertreten. Fans, die sagen 'Das ist mein Schalke 04' - das ist in den zurückliegenden Jahren extrem verloren gegangen, weil halt alle austauschbar sind.

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SPORT1:Clemens Tönnies war einer, dem man das abgenommen hat, wenn er das Vereinslied gesungen hat.

Rost: Absolut. Seine Aussagen waren alles andere als glücklich, aber er war der Letzte, bei dem man ruhigen Gewissens noch sagen konnte: "Das hat etwas mit Schalke 04 zu tun." Er ist ein Stück weit ein Malocher. Er ist nicht erfolgreich geworden, weil er die ganze Zeit seine Beine unter dem Tisch gehabt hat.

Absage an Tönnies "ein zweischneidiges Schwert"

SPORT1: Jetzt sollte der Sponsorenvertrag mit Böklunder verlängert werden, doch Schalke hat Tönnies' Hilfe abgelehnt. Seine Firma beliefert seit 2002 die Veltins Arena mit Würstchen. Hätte eine Verlängerung des Engagements erneut gezeigt, wie sehr Schalke auf dem Zahnfleisch daher kommt?

Rost: Da sind sie in diesem Bereich schon mal konsequenter als in anderen Bereichen. Zuerst jagt man Tönnies aus dem Haus und dann würde man ihn wieder anbetteln. Das hätte gezeigt, wie schwierig und angespannt die Gesamtsituation auf Schalke ist. Auf der einen Seite ist es aber schwer zu sagen, dass der Verein sich von Tönnies trennt und einen gewissen Abstand will, auf der anderen Seite wurde ein Unternehmen von Tönnies um Hilfe gefragt. Das ist immer ein zweischneidiges Schwert, das birgt natürlich gewisse Risiken. Dass man jetzt auch offiziell die Zusammenarbeit mit Tönnies ablehnt, da wollen die Bosse ihr Gesicht wahren. Sie können nicht permanent eine Rolle rückwärts machen. Diese Konsequenz wünscht man sich auch sportlich. Endlich mal zu Dingen stehen, die man formuliert und nicht dann wieder revidieren.

SPORT1: Hängt das Thema Tönnies Schalke wie ein Klotz am Bein?

Rost: Das Thema Tönnies spielt auf Schalke immer eine große Rolle, weil die Familie Tönnies seit Jahrzehnten mit Schalke 04 verbunden ist. Es ist sicherlich ein schweres Thema, aber man sollte es nicht zu hoch hängen. Einfach mal auf Sport konzentrieren. Einfach mal zu Spielern stehen wie jetzt zu dem Nein zu Tönnies, und nicht andauernd wieder Spieler degradieren und sie dann wieder holen.

"Geldgeber wollen immer einen gewissen Einfluss"

SPORT1: War die Abhängigkeit von Tönnies zu groß?

Rost: Wenn ich mir jemanden ins Haus hole, der viel zahlt, dann hat er auch den Anspruch gewisse Dinge mit zu entscheiden. Das war ja vorher bekannt. Man kann als Schalke nicht das ganze Geld nehmen und dann sagen "Wir entscheiden, was damit gemacht wird". Geldgeber wollen immer einen gewissen Einfluss.

SPORT1: Was muss besser werden?

Rost: Man muss wieder mehr darüber diskutieren, wie man die Leute unterstützen und fordern kann, dass sie verinnerlichen, was es bedeutet, auf Schalke Fußball zu spielen. Da muss ich sagen, dass bei den Königsblauen nicht immer der beste Fußball gespielt wurde. Aber es gab schon Mannschaften, die haben zwar gegen den Abstieg gespielt, aber sie hatten Charakter und schafften es, sich gegen Widrigkeiten durchzusetzen. Nur dafür brauchst du Spieler mit einer gewissen Mentalität und natürlich auch eine fußballerische Klasse, um dem Ganzen auch standzuhalten. Da kann ich nicht wie im Wilden Westen einkaufen und einem Novizen eine wichtige Position geben, der in der Bundesliga noch gar nichts bewiesen hat.

SPORT1: Wen meinen Sie?

Rost: Es geht mir nicht um einzelne Personen. Nehmen wir den Torwart-Bereich. Im Kasten brauchst du entweder jemand, der eine überragende Klasse hat und den ganzen Laden kennt wie damals Manuel Neuer. Oder man hat einen Keeper mit großer Erfahrung. Dann muss ich als Chef den unterstützen. Ich kann einen Fährmann nicht x-Mal degradieren und dann immer wieder zurückholen und ihm sagen "Jetzt bist du die Nummer 1". Das funktioniert nicht im Fußball.

SPORT1: Es gab im Tor sieben Wechsel in sechs Monaten. Nur die Unbeständigkeit ist im königsblauen Kasten noch beständig.

Rost: Das Torwart-Theater ist ein Sinnbild für den ganzen Klub, wie er sich in den vergangenen Monaten präsentiert hat.

"Schalke hat alles getan, nicht konstant zu sein"

SPORT1: Fährmann rein und raus, dann wieder rein? Rönnow wurde neu geholt, kam ins Tor, dann jetzt wieder raus. Zwischendurch gab Langer nach 13 Jahren sein Bundesliga-Comeback.

Rost: Ich kann keine Konstanz verlangen, wenn ich es selber nicht vorlebe. Schalke 04 hat in den vergangenen Monaten bzw. Jahren alles dafür getan, nicht konstant zu sein. Das spiegelt sich auf der Torwart-Position wider. Diese ist sicher nicht entscheidend dafür, ob du Meister wirst oder absteigst. Aber sie ist nicht ganz so unwichtig. Sie ist eine Art Image-Projekt nach dem Motto "Da steht einer hinten drin, der gesetzt ist". Wenn du da so unschlüssig bist wie Schalke, dann zeigt das die Gesamtverfassung.

SPORT1: Was macht das mit einem Torwart, wenn er so oft rein und wieder raus muss?

Rost: Da muss man zwischen dem Profi und dem Menschen unterscheiden. Als Profi muss man das akzeptieren, wenn Entscheidungen so getroffen werden. Damit muss man professionell umgehen. Aber jeder Profi ist auch ein Mensch und gerade als Torhüter ist das natürlich nicht so schön, wenn du permanent infrage gestellt wirst. Den Rönnow hat man gekauft - ich weiß nicht, wessen Idee das war - aber dabei wird man sich etwas gedacht haben. Aber Schalke 04 ist ein Klub, der bei aller Krisengewalt im Umfeld ein großes Anspruchsdenken hat. Auch im Verein ist dieses Denken noch hoch. Ich habe die Rönnow-Verpflichtung nicht verstanden. Am Ende griff man zum letzten Strohhalm - Langer.

"Es gibt wenige Charakterköpfe"

SPORT1: Christian Gross hat jetzt wieder Fährmann zur Nummer 1 erklärt...

Rost: Christian Gross reiht sich ein in eine lange Reihe von Trainern, die versuchen, das Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Er braucht hinten im Tor eine Konstante. Alle wurden verunsichert. Jetzt zu erwarten, dass da große Dinge geschehen, ist die letzte Hoffnung. Aber man kann nicht alle austauschen. Man muss sich vorher im Klaren sein: Was für eine Mannschaft ist da und was kann sie leisten? Gross versucht, die Leute aufzubauen. Aber das ist in der jetzigen Situation verdammt schwer.

SPORT1: Wäre am Ende ein Abstieg sogar förderlich für einen Neuanfang?

Rost: Verdammt schwer, weil die finanziellen Unterscheide gerade in der jetzigen Phase immer krasser werden. Es sind ja schon einige Klubs abgestiegen und kamen lange nicht zurück, verschwanden in der Versenkung. Der Profifußball und Geld gehören zusammen, das ist so. Aber man muss schauen, dass man einigermaßen haushaltet und sich nicht in solch eine Abhängigkeit begibt, wie es Schalke 04 getan hat.

SPORT1: Ist Gross der Richtige für die Mission Klassenerhalt?

Rost: Auf Schalke haben sie schon viele Trainer ausprobiert. Gross muss jetzt schauen, dass er dieses Ruder noch mal rumreißen kann. Sicher spricht seine Erfahrung für ihn, aber Schalke 04 ist schon ein spezieller Klub. Es ist nicht immer gut, wenn alle nur von außen kommen. Es gibt wenige Charakterköpfe, an denen man sich orientieren und festhalten kann. Die sind alle verschwunden.