Der Schalker Absturz - und seine vergessenen Gesichter

Der Schalker Absturz - und seine vergessenen Gesichter
Der Schalker Absturz - und seine vergessenen Gesichter

Wer war der Trainer des FC Schalke 04 ganz am Anfang der Chaos-Saison 2020/21?

Noch ist das keine Frage 15 bei "Wer wird Millionär?", in ein paar Jahren könnte aber durchaus eine sein, wenn man sich die rasende Entwicklung der Krise des Revierklubs anschaut - und wie viele Protagonisten sie innerhalb kurzer Zeit verschlissen hat.

SPORT1 blickt zurück auf die Chronologie eines Absturzes - und dessen vergessene Gesichter.

5. Juni 2020: Finanzvorstand Peter Peters verlässt den Klub auf eigenen Wunsch, nach 26 Jahren im Job und trotz eines unbefristeten Vertrags - knapp zwei Monate, nachdem er den Fans mitteilen muss, dass der Verein infolge der Corona-Pandemie in existenzbedrohende Geldnot geraten ist, die auch sportlich zu schmerzhaften Einschnitten führt, etwa dem Verkauf von Weston McKennie an Juventus Turin (Die Hintergründe zur riesigen Finanzkrise beim FC Schalke 04). Peters habe um die Auflösung seines unbefristeten Arbeitsvertrags gebeten, teilt der Klub mit. Clemens Tönnies, damals noch Aufsichtsratschef, dankt Peters für "mutige und weitsichtige Entscheidungen".

30. Juni 2020: Auch Tönnies ist auf Schalke Geschichte. Nach insgesamt 19 Jahren legt er sein Amt als Aufsichtsratschef nieder. Er wolle sich "voll und ganz auf mein Unternehmen zu konzentrieren, es erfolgreich durch die schwerste Krise seiner Geschichte zu führen", erklärt der Fleischfabrikant in seinem Rücktrittsschreiben. Tönnies, der im August 2019 mit rassistischen Bemerkungen während einer Rede in Paderborn für einen Skandal gesorgt hatte und sein Amt schon deswegen zwischenzeitlich hatte ruhen lassen, war wegen der Zustände in seiner Fleischfabrik in die Kritik geraten. Dort war es zu einem großen Corona-Ausbruch gekommen. Der Druck auf Tönnies, vor allem bei den Fans wegen des Rassismus-Ärgers, aber auch wegen seiner Rolle im sportlichen Bereich schwer umstritten, war dadurch auch klubintern angewachsen.

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18. September 2020:Zum Auftakt der Saison setzt es ein 0:8 bei Bayern München. Jegliche Chance auf sportliche Aufbruchstimmung ist nachhaltig dahin, die Entscheidung, mit dem schon angezählten Trainer David Wagner in die Saison zu gehen, fällt Sportvorstand Jochen Schneider auf die Füße. "Das 8:0 in München hat alles zusammenfallen lassen wie ein Kartenhaus", berichtet Schneider später im CHECK24 Doppelpass auf SPORT1.

27. September 2020: Schalke kassiert beim 1:3 gegen Werder Bremen die nächste Niederlage, einen Tag später muss Wagner gehen. 18 Spiele nacheinander hat S04 zu diesem Zeitpunkt nicht gewonnen. Auch Wagner schilderte kürzlich im Dopa seine Sicht der Dinge, welche Fehler er selbst gemacht hätte und gegen welche Probleme er machtlos gewesen sei.

30. September 2020:Manuel Baum tritt Wagners Nachfolge an. Der frühere Coach des FC Augsburg und der deutschen U20 wurde von Beginn an kritisch beäugt - und konnte die Skepsis nicht entkräften. Am meisten in Erinnerung bleibt wohl der Spruch, mit dem er um Geduld bei der Verbesserung der sportliche Situation bat: Schalke sei wie eine neue Ketchup-Flasche, und aktuell klopfe man noch.

24. November 2020: Aus für einen weiteren Verantwortlichen der Misere: Kaderplaner Michael Reschke, der auf Schalke nach dem Fehlschlag als Stuttgart-Boss an seine bessere Zeiten als Transfer-Guru bei Leverkusen und Bayern anknüpfen hätte sollen, verlässt den Klub kaum mehr als ein Jahr nach seiner Verpflichtung durch Schneider. "Letztlich hatten wir eine unterschiedliche Auffassung über die sportliche Zukunft des Vereins", sagt dieser.

Am selben Tag wird auch die Auflösung des erst im Sommer unterschriebenen Vertrags mit Vedad Ibisevic verkündet. Der Stürmer war mit dem Trainerteam aneinander geraten. Zwei Monate später fragt Schneider bei Ibisevic an, ob er sich ein Comeback vorstellen kann. Dessen Antwort: Nein.

18. Dezember 2020: Schalke klopft noch immer. Aber nicht mehr mit Baum. Mittlerweile ist der Klub bei 28 Spielen ohne Sieg angekommen und in höchster Gefahr, den Anschluss zu verlieren. "Ich bin Manuel Baum sehr dankbar. Er hat hier mit viel Akribie und Leidenschaft gearbeitet und alles versucht, um den Erfolg wieder zum FC Schalke 04 zu bringen", sagt Schneider. Es blieb nur leider beim Versuch. Jahrhunderttrainer Huub Stevens übernimmt.

27. Dezember 2020: Stevens, das war klar, springt nur für zwei Spiele ein. In der Liga gibt es die nächste Niederlage - ein 0:1 gegen Bielefeld, dafür schafft S04 den Sprung ins Achtelfinale des DFB-Pokals. Christian Gross tritt Stevens' Nachfolge an. Schneider setzt auf ihn wegen der guten Erfahrungen, die er 2009/10 mit ihm beim VfB Stuttgart gemacht hatte ("Ich kann genau einordnen, wie er arbeitet und wirkt") - dass der 66-jährige Gross seit Jahren nur noch fernab der großen Bühnen in Saudi-Arabien und Ägypten gearbeitet hatte, schreckt ihn nicht ab. Gross ist der vierte Trainer der Saison.

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9. Januar 2021: Immerhin das: Schalke gewinnt ein Bundesligaspiel und setzt der schlimmen Serie nach 30 Spielen ohne Sieg ein Ende. 4:0 gegen Hoffenheim, das bis dato unbekannte Sturmtalent Matthew Hoppe trifft dreimal. Schalke ist nun offiziell nicht ganz so schlecht wie Tasmania Berlin (31 Spiele ohne Sieg am Stück). Ein Moment der Hoffnung, an den Schneider durch einige überraschende Transfers anknüpfen will: Sead Kolasinac lässt sich ebenso zu einer Schalke-Rückkehr überreden wie der frühere Stürmerstar Klaas-Jan Huntelaar, der allerdings Verletzungsprobleme mitbringt. Zugleich verliert Schalke aber Ozan Kabak, einen weiteren Leistungsträger, der die Zukunft noch vor sich hat.

1. Februar 2021: Stevens gibt bekannt, dass er Schalke im Sommer endgültig verlässt, sein Mandat im Aufsichtsrat niederlegt. Sportlich keine wesentliche Personalie mehr - Stevens betont im SPORT1-Interview auch, dass er als Ratgeber weiter zur Verfügung steht -, aber auf bittere Weise passend, dass die Ära des Jahrhundert-Trainers ausgerechnet nach dieser Saison enden wird.

6. Februar 2021:Weltmeister Shkodran Mustafi, nach Kolasinac und Huntelaar der dritte prominente Winterzugang, hat noch keine Minute mit dem Team trainiert. Trotzdem steht er gegen RB Leipzig direkt in der Startelf. Ein riskanter Schachzug von Gross, der nicht belohnt wird. Das Spiel geht mit 0:3 verloren. Der Schwung aus dem Hoffenheimspiel ist längst weg, es ist die vierte Niederlage aus den fünf Ligaspielen nach dem Sieg gegen die TSG.

9. Februar 2021: Gross zückt eine weitere bislang noch nicht ausgespielte Karte: Nabil Bentaleb darf zurück ins Profiteam. Der Mittelfeldspieler wurde seit Beginn seiner Zeit auf Schalke 2017 insgesamt fünfmal suspendiert und aussortiert - von vier verschiedenen Trainern. Diverse Führungsspieler setzen sich für die Rückkehr ein, andere Teamkollegen halten es für eine weniger gute Idee.

16. Februar 2021: Seit längerem galt es ausgemacht, nun wird es trotz zwischenzeitlicher Dementi offiziell: Jochen Schneiders Vertrag wird zum 30. Juni 2021 aufgelöst - ein Jahr vor Ende seiner ursprünglichen Laufzeit. Der Sportvorstand, der in der Branche wegen seiner Arbeit hinter den Kulissen Stuttgart und RB Leipzig einen guten Ruf genoss, war im März 2019 als Hoffnungsträger verpflichtet worden, der nach dem Scheitern von Vorgänger Christian Heidel wieder bessere Zeiten einläuten sollte. Stattdessen griff Schneider bei Schalke vor allem bei seinen Trainerentscheidungen immer wieder daneben und verspielte damit seinen Kredit (Christian Heidel im SPORT1-Interview: So blickte er auf seine Zeit bei Schalke zurück).

20. Februar 2021: Das Revierderby wird einmal mehr zur einseitigen Angelegenheit: Borussia Dortmund gewinnt 4:0, Doppelpacker Erling Haaland wundert sich, dass er in der Bundesliga so viele Freiräume im Strafraum hat.

27./28. Februar 2021:Kurz vor dem Bundesligaspiel beim VfB Stuttgart bitten Führungsspieler bei Schneider um die Entlassung von Trainer Gross. Taktik und Trainingsgestaltung seien nicht zeitgemäß, hieß es - sein häufiges Verwechseln von Spielernamen (Kaan Erdogan statt Can Bozdogan und Massimo Schüpp statt Alessandro Schöpf) trug zum schlechten Eindruck bei. Schneider wiegelt ab, der Verein dementiert - S04 verliert 1:5 in Stuttgart. Und nur einen Tag später geht es plötzlich ganz schnell: Gross und Schneider müssen gehen, auch Co-Trainer Rainer Widmayer und Athletik-Coach Werner Leuthard - sowie auch Lizenzspieler Sascha Riether. Der einstige Wolfsburger Meisterspieler agierte in einer von Schneider geschaffenen Rolle als Bindeglied zwischen Mannschaft, Trainer und Klubführung. Auch keine dankbare Rolle in diesem Jahr, in dem es an allen Enden ausfaserte.

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Mit Sportinformationsdienst (SID)