Schluss mit dem "Werkself"-Gerede!

Bayer Leverkusen hatte im Champions League-Rückspiel gegen Lazion Rom allen Grund zum Jubeln. (Bild: Lars Baron/Getty Images)
Bayer Leverkusen hatte im Champions League-Rückspiel gegen Lazion Rom allen Grund zum Jubeln. (Bild: Lars Baron/Getty Images)

Was für ein Abend in der BayArena: Mit 3:0 sichern sich die Spieler von Bayer Leverkusen den Einzug in die Champions League. Mit Wille, Leidenschaft und taktischer Finesse hat sich die Werkself in die Herzen der Fans gespielt. Was ist in dieser Saison nun möglich?

Von Jens Fischer

Man muss schon Marathonläufer sein, um wenigstens ungefähr zu erahnen, welche körperliche Leistung die beiden Leverkusener Mittelfeldstrategen Lars Bender und Christoph Kramer an diesem sagenhaften Champions-League-Abend in der ausverkauften BayArena gebracht haben. 90 Minuten sind die beiden gerannt, haben gegrätscht, geflucht und am Ende gejubelt. Mit 3:0 haben die Leverkusener die unangenehmen und immer gefährlichen Römer in die Knie gezwungen und das Finale um den Einzug in die Königsklasse des Vereinsfußballs für sich entschieden. Es war ein Erfolg der Leidenschaft, des Willens, und ein Sieg über Biederkeit und emotionaler Kälte. Deshalb, und jetzt endlich: Schluss jetzt mit dem „Werkself“-Gerede! Leverkusen kann begeistern.

Dafür in erster Linie verantwortlich: Roger Schmidt. Der Trainer, der in der vergangenen Saison noch mit einer instabilen, unausgereiften und inkonstanten Mannschaft zu kämpfen hatte, ist mittlerweile im Olymp des Trainerwesens angekommen, der Erfolg über Lazio war seine Zugangsberechtigung. Zwar zeigten die Rheinländer auch gegen die Italiener wieder ihr impulsives und aggressives Laufspiel, dieses Jagen nach dem Ball, diese Hatz auf die Gegner. Einen Unterschied, eine Weiterentwicklung gab es aber dennoch: Taktisch wirkten die Leverkusener gereift, gönnten sich die notwendigen Auszeiten und waren immer da, wenn es drauf ankam.

Hakan Calhanoglu überragte beim Sieg gegen Lazio Rom. (Bild: VI Images/Getty Images)
Hakan Calhanoglu überragte beim Sieg gegen Lazio Rom. (Bild: VI Images/Getty Images)

„Die Spieler werden sich heute zerreißen“, hatte Bayer-Sportchef Rudi Völler vor der Partie angekündigt und Recht behalten. Jeder zeigte alles, jeder wusste um die enorme Bedeutung der Partie und jeder bewies, dass er sich mit dem Verein identifiziert. In der Abwehr zeigte beispielsweise der Grieche Kyriakos Papadopoulos, der verletzungsbedingt schwere Zeiten hinter sich hat, eine bärenstarke Leistung. Und auch Nebenmann Jonathan Tah, mit 19 Jahren noch blutjung, steigerte sich nach anfänglichen Schwächen. „Unser Trainer hat mit seinen Besprechung die Jungs erstklassig vorbereitet“, zollte Völler seinem Trainer Schmidt großen Respekt.

So trug jeder Bayer-Akteur, primär der geniale Hakan Calhanoglu, der nimmermüde Stefan Kießling oder der wieselflinke Karim Bellarabi, seinen Teil dazu bei, dieses „Spiel des Jahres“ für sich zu entscheiden. Vergolden wolle man den Bundesligaplatz vier, sagte Bayer-Geschäftsführer Michael Schade – das haben die Leverkusener geschafft und dabei ihren durchaus  begeisterungsfähigen Anhang einen tollen Abend beschert. „Es ist einfach fantastisch. Ein unbeschreibliches Gefühl“, brachte Admir Mehmedi die Lage auf den Punkt.

Nun geht der Blick nach vorne – und da scheint in diesem Jahr wirklich Vieles möglich zu sein. Nach zwei Auftaktsiegen in der Bundesliga geht es am kommenden Spieltag zu den großen Bayern, ein echtes Spitzenspiel, warum sollte Leverkusen in dieser Form nicht sogar mit um den Meistertitel spielen? Schmidt lädt mit diesem Triumph über keineswegs schwache Römer zum Träumen ein. Erinnerungen an die Saison im Jahr 2002 werden wach, als man mit Leuten wie Lucio in das Finale der Champions League einzog und damals unverdient gegen Real Madrid verlor. So weit ist man natürlich noch nicht, aber immerhin auf einen guten Weg.

Mit dem berauschenden 3:0 gegen Lazio Rom haben sich die Spieler von Bayer Leverkusen nicht nur bei den eigenen Fans viele Sympathien erspielt. (Bild: Lars Baron/Getty Images)
Mit dem berauschenden 3:0 gegen Lazio Rom haben sich die Spieler von Bayer Leverkusen nicht nur bei den eigenen Fans viele Sympathien erspielt. (Bild: Lars Baron/Getty Images)

20 Millionen Euro kalkulieren die Verantwortlichen nun ein in der Champions League. Geld, das man dringend brauchen kann. Denn nicht in allen Mannschaftsteilen ist Bayer erstklassig besetzt. Es fehlt ein adäquater Back-Up für Kießling, es wird nach der bitteren Verletzung von Neuzugang Charles Aranguiz ein neuer Sechser gesucht. Pierre-Emile Hojbjerg von den Bayern soll ein Kandidat sein, aber auch eine Rückkehr von Gonzalo Castro aus Dortmund könnte ein Thema werden. Heung-Min Son jedenfalls ist auf dem Weg zu den Tottenham Hotspur.

Das alles wird Trainer Schmidt am späten Mittwochabend erst einmal egal gewesen sein. „Wir haben unser Spiel durchgezogen und sind verdient weitergekommen“, sagte er erschöpft in die Kameras. Auch er wusste: Bayer hat an diesem Tag an vielem gewonnen: an Image. Ausstrahlung. Respekt. Von einem biederen Werksclub war jedenfalls keine Rede mehr.