Sergio Ramos: Der Beste. Der Boss.

Der Kapitän von Real Madrid wird – mal wieder – als größter Schurke des Fußballs dargestellt. Dabei ist er genau der Typ Spieler, den jeder in seiner Mannschaft haben will. Nicht mal Cristiano Ronaldo traut sich, ihm zu widersprechen.

Sergio Ramos holte mit Real Madrid seinen vierten Champions-League-Titel
Sergio Ramos holte mit Real Madrid seinen vierten Champions-League-Titel

Sergio Ramos steht im Kreuzfeuer der Kritik. Ein für Mo Salah folgenschwerer Zweikampf mit dem Liverpool-Star, ein leichter Check gegen den Kopf von Loris Karius, eine Schauspieleinlage nach einem harmlosen Tete-a-tete mit Sadio Mane. Der Kapitän von Real Madrid lieferte im Champions-League-Finale einmal mehr genügend Angriffsfläche, um ihn zum Teufel zu wünschen, zumindest für alle Nicht-Real-Fans.

Die Anti-Ramos-Kommentare in den Sozialen Netzwerken reichen von “unfairster Spieler der Welt” bis zu “größtes A…loch, dass jemals professionell Fußball gespielt hat.” In einer Online-Petition haben sich – Stand Montagmittag – bereits 350.000 User eingetragen, um sich dafür einzusetzen, dass Ramos von den mächtigen Fußballverbänden UEFA und FIFA bestraft wird – in welcher Form auch immer. Ein ägyptischer Anwalt will ihn auf eine Milliarde Schadensersatz verklagen.

Als Grund wird sein Einsteigen gegen Salah angegeben, dass für den Liverpooler das vorzeitige Aus bedeutete und Reals Herausforderer früh im Spiel entscheidend schwächte.

24 Platzverweise in 13 Jahren

Man kann die Szene drehen und wenden, wie man will, hundert Mal zurückspulen, Super- und Megazeitlupen verwenden – es wird in keiner Einstellung deutlich, dass Ramos Salahs Verletzung in Kauf genommen, geschweige denn es darauf angelegt hat. Beide haken ein, beide drücken, beide ziehen. Dass daraus eine so schwere Schulterverletzung resultiert, ist unglücklich und tragisch für Salah. Hätte der Ägypter aber normal weiterspielen können, hätte sich hinterher niemand über Ramos’ ach so überharten oder wie es Jürgen Klopp nannte, “brutalen” Einsatz beklagt.

Sergio Ramos ist für seine harte Spielweise bekannt und berüchtigt. Er ist im Trikot von Real Madrid in 13 Jahren 24 Mal mit Rot oder Gelb-Rot vom Platz geflogen. Er wandelt oft an der Grenze des Erlaubten und sicher hin und wieder auch darüber hinaus. Aber alleine das ist schon ein Merkmal von Qualität, man darf sich beim Überschreiten der Linien nur nicht erwischen lassen.

Komplettester Abwehrspieler der Welt

Ramos ist viel mehr als der angeblich schlimmste Schurke des Weltfußballs. Er ist als Abwehrspieler kompletter als jeder andere auf diesem Planeten, vereint alle wichtigen Tugenden: Stellungsspiel, Zweikampfstärke, Schnelligkeit – und eben auch diese verdammte Härte.

Es gibt zudem keinen Abwehrspieler, der vom Gegner mehr gefürchtet wird, wenn er bei eigenen Eckbällen und Freistößen mit nach vorne geht. 2014 köpfte er den FC Bayern mit zwei Toren aus dem CL-Halbfinale, um dann im Finale gegen Atletico Madrid in der letzten Sekunde den Ausgleich zu köpfen. Auch im Finale 2016 traf er gegen den Stadtrivalen.

Zum vierten Mal hat Ramos mit Real die Champions League gewonnen, zum dritten Mal hintereinander als Kapitän. Er hat 150 Länderspiele für Spanien bestritten, wurde Welt- und zweimal Europameister und trägt auch in der Seleccion seit geraumer Zeit die Binde. Er ist der Typ Spieler, gegen den niemand spielen will. Er ist der Typ Spieler, den jeder in seiner Mannschaft haben will. “Ich hätte Ramos in der Schule immer als erstes gewählt”, sagte ZDF-Experte Oliver Kahn im Rahmen des CL-Finals.

Rüffel für Ronaldo

Ramos ist der unumstrittene Leader bei Real Madrid, nicht mal Cristiano Ronaldo mag seinem Kapitän widersprechen. Weil Ronaldo unmittelbar nach dem Schlusspfiff seinen Abschied aus Madrid andeutete, soll es laut der Zeitung Marca wenig später in der Kabine einen ordentlichen Anpfiff für Ronaldo von Ramos gegeben haben.

Ramos hat sich in den letzten Jahren selbst im Verein nicht nur Freunde gemacht. Ex-Trainer Jose Mourinho warf er vor, nie “kurze Hosen” getragen zu haben – eine Anspielung auf Mourinhos fehlende Erfahrung als Spieler. Präsident Florentino Perez wurde von Ramos öffentlich kritisiert, weil er mit dessen Transferpolitik nicht einverstanden war. Der 32-Jährige ist kein Duckmäuser, er übernimmt lieber die Initiative und Stress in Kauf, wenn er den Erfolg der Mannschaft als gefährdet ansieht.

Das gilt auch für die spanische Nationalmannschaft. Seit Jahren sind sich Ramos und Barca-Verteidiger Gerard Pique spinnefeind und tragen ihre gegenseitige Abneigung gerne über die sozialen Kanäle aus. Doch wenn sie für Spanien Seite an Seite auf dem Platz stehen, sind sie unzertrennlich und holten zwischen 2008 und 2012 drei große Titel in Folge.

Den Shitstorm, dem Ramos in nächster Zeit ausgesetzt sein wird, wird er aushalten. Es war nicht der erste und es wird wohl auch nicht der letzte bleiben. Um Top-Leistungen zu bringen, braucht Ramos keine Schulterklopfer. Weil er der Beste ist. Und der Boss.