Epochaler Tour-Skandal: Er dopte - und log dreist

Marco Pantani saß gedankenversunken im Schneidersitz auf dem Asphalt.

Neben dem einstigen Rivalen Jan Ullrichs lag sein Rennrad, auch die anderen Fahrer stellten auf einer Landstraße in den französischen Alpen die Arbeit ein. Ein Streik bei der Tour de France. Und ein grotesker Versuch, aus Doping-Tätern Opfer zu machen.

Hintergrund des bizarren Schauspiels, das sich auf der 17. Etappe der Tour 1998 abspielte, war der Festina-Skandal, der heute vor 25 Jahren seinen Anfang nahm. Und ein großes Lügengebäude, die den Radsport im Jahr nach Ullrichs Tour-Sieg 1997 durchsetzte, zum Einsturz brachte.

Radsport: Festina-Skandal erschüttert Tour

Willy Voet läutete den Skandal am 8. Juli ein. Der Belgier war Masseur beim Festina-Team, das in Richard Virenque einen der Favoriten auf den Gesamtsieg stellte. Voet saß am Steuer eines Festina-Fahrzeugs mit offizieller Tour-Beschriftung, als er wenige Tage vor dem Grand Depart an der belgisch-französischen Grenze auf einer Nebenstraße bei Neuville in eine Zollkontrolle geriet.

Voets brisante Fracht: Unter anderem 400 Ampullen Epo sowie Anabolika. Voet wird festgenommen. Die Nachricht machte im Feld die Runde, ein Gefühl von Hektik breitete sich aus. Gerüchte kursierten. Die Omerta, das Gebot des Schweigens, jedoch blieb intakt.

Abstreiten, leugnen, zum Gegenangriff ausholen: Die Mechanismen griffen. In Dublin, wo die Tour 1998 startete, reagierte Festina-Teamchef Bruno Roussel auf die Nachricht der Festnahme Voets gereizt. Er distanzierte sich, natürlich. Dass der Doping-Express auf dem Weg zur Kanalfähre nach Calais und damit Richtung Irland war, ließ sich später aber nicht mehr bestreiten. Die Lage eskalierte.

Festina-Firmenchef Miguel Rodriguez schaltete einen Anwalt ein. Das Team müsse sich „auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren“ können. Doch die Lawine war nicht mehr zu stoppen. Beim Verhör in Lille sagte Voet am 14. Juli aus, auf Anweisung von Festina-Offiziellen gehandelt zu haben - und das nicht zum ersten Mal.

Virenque bringt Stein ins Rollen

Für Radprofi Virenque, Berg-König der Tour 1997, war auf dem Rad Angriff stets die beste Verteidigung - und auch nun ging er in die Offensive und drohte mit einer Klage wegen Diffamierung.

Kurz darauf verließ der Franzose, der anders als seine Teamkollegen - unter ihnen der Schweizer Alex Zülle - Doping leugnete, das Rennen unter Tränen. Tour-Chef Jean-Marie Leblanc hatte Festina nach einem Geständnis des Teamchefs von der Rundfahrt ausgeschlossen. Virenque gestand erst drei Jahre später vor Gericht.

Es folgten endlose Vernehmungen der Festina-Fahrer und weitere Geständnisse, aber auch die Verwicklung weiterer Teams in die Affäre. Das niederländische TVM-Team geriet zuerst ins Visier der Dopingfahnder. Deren rigorose Verhörmethoden sorgen für Empörung im Feld, die Fahrer traten in den Streik und rissen sich die Startnummern ab. Der Sieg auf der 17. Etappe wird symbolisch TVM gewidmet.

Verheerende Folgen - und dann noch Lance Armstrong

Die Tour stand mehrfach vor dem Abbruch und endete im Chaos: Von 189 gestarteten Radprofis wurden nach dem Rückzug diverser Teams ganze 96 in Paris klassiert.

Der Festina-Skandal verdeutlichte nicht nur, wie sehr er von Doping durchseucht war, sondern auch, wie wertlos das damalige Kontrollsystem und der Verweis darauf war: Keiner der Fahrer war positiv getestet worden. Schlüsselfigur Voet veröffentlichte später ein Enthüllungsbuch, indem er erklärte, dass seine aufgeflogene Dopingpraxis eine 30 Jahre lange Vorgeschichte hatte.

Die Folgen der Enthüllungen für den Radsport waren verheerend: Den Doping-Schatten wurde er jahrelang nicht los, für ihn standen schließlich auch Ullrich und der 2004 unter rätselhaften Umständen verstorbene Sieger Pantani, der ein Jahr später wegen erhöhter Hämatokritwerte selbst unter Verdacht geriet und vom Giro d‘Italia ausgeschlossen wurde.

Und im Jahr 1999, als alles besser werden sollte, begann die Doping-Ära des Lance Armstrong.

------------------------

Mit Sportinformationsdienst (SID)