Wer sich im deutschen Kader für Olympia (nicht) empfohlen hat

Wer sich im deutschen Kader für Olympia (nicht) empfohlen hat

Wunsch und Wirklichkeit liegen bei der deutschen Handball-Nationalmannschaft aktuell relativ weit auseinander.

Die Weltmeisterschaft in Ägypten schloss das Team mit dem enttäuschenden zwölften Platz ab – so schlecht war die DHB-Auswahl zuvor noch nie bei einer WM platziert.

Für die anstehenden Olympischen Spiele in Tokio ist die formulierte Zielsetzung mit der Goldmedaille deshalb enorm ambitioniert.

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DHB-Präsident Andreas Michelmann misst dem Großereignis in Japan nach der missglückten WM eine ganz besondere Bedeutung bei. "Wir brauchen jetzt Olympia, um wieder die Kurve nach oben zu bekommen. Es wird langsam wieder Zeit, einen Erfolg einzufahren", so der Präsident.

Olympia-Gold als Ziel

Damit der Traum vom Gold aber überhaupt in Angriff genommen werden kann, muss sich das Team erst einmal qualifizieren. Im März steht das Qualifikations-Turnier auf dem Programm. Gegner in Berlin sind Slowenien, Schweden und Algerien (Kommentar: Was soll das Gerede von Olympia-Gold?!).

Dabei hoffen die Verantwortlichen um Bundestrainer Alfred Gislason auf die Rückkehr einiger Leistungsträger, die sich aufgrund der Coronapandemie oder wegen Verletzungen gegen eine Teilnahme entschieden hatten.

Doch in welchen Mannschaftsteilen bedarf es einer Verbesserung, wer hat sich bei der WM empfohlen? SPORT1 macht den Check.

Torhüter

Andreas Wolff sollte in Ägypten zum großen Rückhalt werden, vor allem weil das Abwehr-Prunkstück fehlte. Doch das war die "1A-Lösung" nicht. Zwar wurde er mehrere Male von seinen Vorderleuten im Stich gelassen, dennoch war seine Leistung zu wenig - die Fangquote mit nur 19 gehaltenen Bällen zu gering. Wolff sorgte mehr mit seinen kritischen Aussagen in Richtung der auf die WM verzichtenden Spieler für Aufsehen.

Johannes Bitter zeigte sich dagegen in deutlich besserer Form, hielt 33 Bälle, hat mit 36 Prozent die sechstbeste Fangquote aller Torhüter und könnte das Quali-Turnier als Nummer eins angehen. Die aktuelle Nummer drei Silvio Heinevetter war nur gegen Uruguay und Brasilien gefragt. (Tabellen der Handball-WM 2021)

Mit Leipzig-Keeper Joel Birlehm und Konstantin Poltrum vom HSC Coburg gibt es in der HBL durchaus Keeper, die bessere Statistiken aufweisen als beispielsweise Heinevetter, dass Gislason seine so erfahrenen Keeper nicht berücksichtigt, ist aber kaum vorstellbar. Für den Gold-Traum muss sich vor allem Wolff steigern.

Linksaußen

Kein Spieler steht so im Fokus wie Uwe Gensheimer. Der Kapitän hat nicht die WM abgeliefert, die er hätte abliefern können und weiß das auch selbst. In seiner Rolle als Anführer machte er sich offenbar gut und wurde von allen Seiten gestärkt. Dringender bräuchte Deutschland aber den Weltklasse-Handballer Gensheimer. Könnte ihm Gislason die Binde wegnehme, um Druck abzubauen? Unwahrscheinlich, dass vor Berlin ein neues Thema aufgemacht wird.

Sein Vertreter Marcel Schiller hat sich als bester Torschütze gut geschlagen, agierte vom Punkt weitgehend sicher und bekam zeitweise sogar den Vorzug vor Gensheimer. Auch auf dieser Position dürfte sich kaum etwas verändern. (Spielplan und Ergebnisse der Handball-WM in Ägypten)

Rückraum links

Im linken Rückraum gibt es traditionell diverse Optionen. In Ägypten versuchten sich hauptsächlich Julius Kühm, Paul Drux und Fabian Böhm. Komplett überzeugen konnte dabei niemand.

Kühn agiert gelegentlich unglücklich, war in seiner Rolle als Shooter nicht der gewünschte Passgeber für Gensheimer und traf 13 seiner 26 Würfe. Zumindest der Berliner Drux konnte in seinen Einsatzminuten das Spiel beleben, griff in der Abwehr zu und entwickelte sich vom Nachrücker aus den Testspielen zur guten Option. Böhm (vier Tore) war indes zumeist nur in der Abwehr gefragt.

Für die Olympia-Quali könnte Finn Lemke eine gute Alternative sein, der seine Stärken bekanntermaßen in der Defensive hat. Der Profi der MT Melsungen hatte aus familiären Gründen auf die WM verzichtet, war zuvor aber für den Kader nominiert worden. Die Offensive könnte Sebastian Heymann verstärken. Der Göppinger, der ebenfalls abgesagt hatte, hat in der laufenden Bundesliga-Saison 60 Tore erzielt - bei einer bärenstarken Quote von 71,43 Prozent.

Rückraum Mitte

Philipp Weber war einer der wenigen Lichtblicke im DHB-Team. Der Leipziger zeigte sich als dynamischer Gestalter und gab die zweitmeisten deutschen Assists. Marian Michalczik von den Füchsen Berlin spielte dagegen überhaupt keine Rolle.

Mit Juri Knorr kann Gislason in der Rückraummitte zudem auf einen exzellenten Spieler für die Zukunft zurückgreifen, dem jede Erfahrung weiter helfen wird, der mit seiner Unbekümmertheit aber auch selbst schon eine Unterstützung ist.

Eine gute Alternative wäre prinzipiell Tim Suton. Der Lemgo-Profi zog sich allerdings im Dezember den zweiten Kreuzbandriss innerhalb eines Jahres zu und fällt erneut auf unbestimmte Zeit aus. Langfristig könnte auch Max Häfner (Stuttgart) - Bruder von Kai Häfner - eine Option sein, aber wohl nicht für Olympia. (Tabellen der Handball-WM 2021)

Rückraum Rechts

Kai Häfner versuchte viel und ging voran, auch wenn nicht alles klappte. Doch Häfner übernahm Verantwortung und spielte zudem die meisten deutschen Assists - sein Auge half auch Rechtsaußen Timo Kastening.

Für die Olympia-Quali ist er gesetzt. David Schmidt zeigte eine ordentliche Leistung, war mit vier Toren bester Werfer gegen Polen. Antonio Metzner, schon häufiger als "Holger Glandorf 2.0" bezeichnet, spielte keine Rolle.

Für Schmidt und Metzner könnte es im Hinblick auf Olympia schwer werden. Denn mit Fabian Wiede, der auch im Rückraum Mitte spielen und dringend benötigte Kreativität bringen könnte, und Steffen Weinhold hat Deutschland zwei starke Spieler in der Hinterhand, die auf eine WM-Teilnahme verzichtet haben.

Rechtsaußen

Bereits im WM-Auftaktspiel gegen Uruguay hatte sich Routinier Tobias Reichmann einen Außenmeniskusriss zugezogen, inzwischen wurde der Melsungen-Spieler operiert.

Mit Patrick Groetzki wurde nach dem bitteren Ausfall ein Profi der Löwen nachnominiert, der seinen Platz behalten dürfte, sollte Reichmann trotz eines angepeilten Comebacks Anfang März nicht rechtzeitig fit werden.

Für die Olympia-Qualifikation gesetzt sein wird Timo Kastening. Der zweitbeste deutsche Torschütze drehte vor allem gegen Spanien teilweise richtig auf. (Handball-WM 2021: Modus, Spielplan & alle Infos)

Kreis

Der Kreis ist die Position, auf der die größten Veränderungen möglich sind. Mit Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler für die Abwehr, sowie Jannik Kohlbacher für den Angriff standen gleich drei Top-Spieler in Ägypten nicht zur Verfügung. Wiencek und Pekeler hatten Corona-bedingt abgesagt, Kohlbacher kämpft mit einer Ellbogenverletzung.

Kehrt das Trio zurück, ist vor allem im Hinblick auf die Abwehr großes Verbesserungspotenzial vorhanden, weil sich Wiencek und Pekeler schon seit Jahren aus Spielen mit der Nationalmannschaft und dem THW Kiel gut kennen. Kohlhaber ist vor allem im Angriff eine Waffe.

Immerhin nutzte Johannes Golla, der vom Kreisläufer Nummer vier bei der vergangenen EM zur Nummer eins bei der WM wurde, die neue Rolle und präsentierte sich stark.

Das Können von Sebastian Firnhaber war indes hauptsächlich in der Defensive gefragt, dort kassierte er aber zu viele Zeitstrafen. Moritz Preuß kam ohnehin nur zu einem Kurzeinsatz. Kehren Wiencek, Pekeler und Kohlbacher zurück, müssen Firnbacher und Preuß wohl weichen.

Auf Alfred Gislason wartet unabhängig von der Kaderzusammenstellung erneut eine schwierige Mission, zumal vor dem Qualifikations-Turnier kein Testspiel mehr ansteht.

"Ich habe nur vier Trainingstage, bevor die Spiele losgehen. Ich muss hoffen, dass ein paar Tage dazu kommen könnten", sagte der Isländer noch in Ägypten. Auch er wird hoffen, dass er in Berlin das ein oder andere bekannte Gesicht zurückbegrüßen darf.