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So lebt ein arbeitsloser Trainer mit der Coronakrise

Die Coronakrise hat viele Menschen auf der Welt nachdenklich und ratlos werden lassen. Auch Olaf Janßen, der seit 2003 als Fußballtrainer im Geschäft ist, und aktuell durch das Virus wie viele andere das Familienleben noch mehr lebt als sonst.

"Jeder auf der Welt hat das größte Geschenk bekommen, das man als Mensch bekommen kann: das Leben. Und genau das gilt es jetzt für uns alle zu schützen", sagt Janßen gleich zu Beginn des Gesprächs mit SPORT1.

In Deutschland sind seit über einer Woche viele Menschen im Home-Office und wissen nicht, wie lange dieser Zustand andauern wird. Ungewissheit trotz Solidarität. Auch für Janßen.

Der 53-Jährige war von Juli 2018 bis vergangenen Sommer Co-Trainer von Bruno Labbadia beim VfL Wolfsburg und das sehr erfolgreich. Mit dem Klub schafften die beiden die Qualifikation für die Europa League.

In den Jahren zuvor arbeitete Janßen unter anderem als Chefcoach beim FC St. Pauli und bei Viktoria Köln und vorher als Interims-Cheftrainer beim VfB Stuttgart. Seit dem vergangenen Sommer ist er arbeitslos.

"Unter Einsatz ihres Lebens"

Janßen fragt sich gerade in diesen Tagen, wer in der Gesellschaft Deutschland zu dem gemacht habe, wie man es jetzt kennt?

"Das ist die Generation, die jetzt 60 bis 90 Jahre alt ist", sagt er. "Sie haben mit ihren eigenen Händen und zum Teil unter Einsatz ihres Lebens, oft unter größtem Verzicht all der Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, dieses Land aufgebaut, damit wir es einmal besser haben als sie."

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Diese Generation und die vielen oft auch jüngeren Vorerkrankten bräuchten jetzt im Besonderen die "volle Unterstützung und Solidarität", weil das Virus diese Menschen am härtesten trifft.

Janßen fragt sich zudem, ob das Geleistete der älteren Generation im Gegensatz zu den aktuellen Vorgaben der Politiker nicht höher zu bewerten sei als die aktuellen Maßnahmen wie Menschenansammlungen zu meiden, die sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, nur für das Nötigste das Haus zu verlassen, zwei Meter Abstand zueinander zu wahren, in die Armbeuge zu niesen oder zu husten.

Corona: Verantwortung für eigenes Handeln

Es müsse für jeden selbstverständlich sein, die Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen und sich bedingungslos an die Vorgaben zu halten.

Janßen berichtet von einem Erlebnis in der vergangenen Woche in einem Supermarkt. Ein Moment, der beschreibt, worauf es bei der Bekämpfung des Coronavirus ankommt.

"Ich stand im Supermarkt an der Kasse. Eine ältere Dame mit Mundschutz und Handschuhen hat vor mir bezahlt und nahm plötzlich einen gerade gekauften Rosenstrauß aus ihrem Einkaufswagen, ging zu jeder Kassiererin und bedankte sich bei ihnen für ihren Einsatz und übergab unter tosendem Applaus der Kunden jeder Kassiererin eine Rose", erzählt er.

Augenblicke, die das Herz berühren

Dies sind für Janßen die besonderen Momente im Leben, die zeigen, welche Werte wirklich wichtig sind. Augenblicke, die das Herz berühren und verdeutlichen wie viel Energie in Solidarität und Menschlichkeit steckt.

"Genau das sind das Medikament und der Impfstoff, mit dem wir Corona jetzt entgegentreten müssen und wie wir das Virus besiegen können. Mit Solidarität und Verantwortung."

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Janßen weiß, was das im Alltag gerade bedeutet. Der fünffache Vater wird aktuell täglich in seiner Familie damit konfrontiert, denn er lebt er mit seiner Frau Susanne und vier Kindern (die Söhne sind 15, 19 und 24 Jahre alt, die jüngste Tochter ist 11) in Hürth bei Köln unter einem Dach. Seine älteste Tochter (29) ist schon ausgezogen.

Die Ausbreitung des Virus hat die Familie völlig unvorbereitet getroffen.

Türen zu neuen Jobs sind zu

"Wie hätte man sich auch so etwas vorstellen können? Das hat unser Leben als Familie und im Beruf einschneidend verändert", sagt Janßen. "In meinem Job als Trainer haben wir über Jahrzehnte eine Nah-Fern-Familienorganisation gelebt." Es gab Zeiten, in denen er keinen Job hatte und komplett zu Hause war, "aber die meiste Zeit habe ich in einer anderen Stadt gearbeitet". Dies sei schon immer eine große Herausforderung für die gesamte Familie gewesen, "wir haben sie bis heute jedoch gut gemeistert".

Das Virus hat alles auf den Kopf gestellt, "so wie ich denke bei allen Menschen, egal aus welcher Gesellschaftsschicht".

Aktuell ohne Job zu sein sei "an sich für einen Trainer nichts Außergewöhnliches, da dieser 'On/Off-Modus' dazu gehört, obwohl ich solange noch nie pausiert habe."

Doch in der aktuellen Coronakrise trifft es Janßen doppelt hart. Mit dem Ausbruch des Coronavirus und der damit verbundenen Einstellung des Spielbetriebs in allen Ligen - auf unbestimmte Zeit - ist der Markt über Nacht erstmal geschlossen.

Janßen: "Für mich unvorstellbar"

"Das war so in der Form für mich unvorstellbar", betont Janßen. Das Virus hat auch bei seiner Familie für eine komplett neue Situation gesorgt.

"Eine große Herausforderung besteht für meine Familie darin, die neue Familienordnung - keine Schule, kein Job, extreme Ausgangsbeschränkungen und praktisch keine sozialen Kontakte außerhalb der Familie - zu leben und irgendwie positiv in die Tat umzusetzen."

Die Großeltern seiner Kinder leben noch. Nur: "Für uns und die Kinder ist es sehr schwer zu akzeptieren, dass wir Oma und Opa jetzt nicht sehen können", räumt Janßen ein. "Aber wir halten uns alle daran, weil es - so paradox es klingt - ein Zeichen der Liebe ist."

Er ist seit über einem Jahr selbst stolzer Opa. Doch auch da muss der Kontakt gerade ruhen. "Mit meiner ältesten Tochter und unserem Enkelkind kommunizieren wir hauptsächlich über Facetime, damit die Kleine zumindest die Gesichter von Oma und Opa nicht ganz vergisst", erzählt Janßen.

Im Sechser-Haushalt müssen sich alle unter den gegebenen Umständen auf eine ganz neue Art des Zusammenlebens einstellen und damit arrangieren.

Die beiden ältesten Söhne sind bereits in der Arbeitswelt. "Einer ist in einer Steuerkanzlei tätig und ist mit alledem zur Zeit noch am wenigsten belastet. Sein einziges Problem ist, dass er nicht mehr die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen soll. Das fangen wir intern auf", berichtet Janßen.

"Der mittlere Sohn arbeitet in der Gastronomie und hat vergangene Woche erfahren, dass sein Arbeitgeber vorerst schließen und ihn in Kurzarbeit schicken muss. Wann es weitergeht, steht noch nicht fest."

Komplett veränderter Lebensrhythmus

Die anderen Kinder gehen noch zur Schule. "Unser vorher gekannter Lebensrhythmus wurde komplett verändert, und alle müssen sich der Herausforderung stellen, daraus das Beste zu machen", betont Janßen.

Wie viele Eltern müssen sich auch die Janßens mit den Schulschließungen arrangieren. "Die Kinder gehen ja zur Schule, nur ist die zu Hause", sagt Janßen schmunzelnd. Dies sei "eine enorme Veränderung" für alle. "Zu aller erst einmal für die Kinder. Sie sind daheim logischerweise im 'Ferienmodus', müssen aber selbstständig 'Schule' machen. Das ist eine komplette Umkehr ihres Lernverhaltens und das dann auch noch ohne Mitschüler."

Und wer ist daheim der Lehrer? "Meine Frau und ich, ab und zu auch die beiden ältesten Söhne, schlüpfen das eine oder andere Mal in die Lehrerrolle", berichtet Janßen, "wobei wir feststellen, dass das nicht unbedingt ein Herzenswunsch der Kinder ist."

Vereinsleben muss erst einmal ruhen

Sehr wichtig sei für den Familienvater, dass ein regelmäßiger Austausch innerhalb der Klassenkameraden stattfindet. Dieser sei "extrem hilfreich und motivierend für die Kinder".

Ein gewisser Frust-Faktor sei bei diesem neuen Lernverhalten und dem damit verbundenen "Ortswechsel“ fast unausweichlich.

Die gesamte Familie vermisst Bewegung und Begegnungen, weiß Janßen. "Wir sind im Sportverein, Tanzverein, Schwimmverein und im Fitnessstudio. Darauf zu verzichten fällt uns allen extrem schwer, denn scheinbar gibt es dazu fast keine Alternative."

Es sei für alle Kinder und Eltern "eine große Herausforderung, die vielleicht noch über Wochen so gehen wird", glaubt er.

Doch es gibt ein Alternativ-Programm, weil man nicht untätig sein will: Tanzen im Wohnzimmer, Online-Fitnessstudio im Keller und Joggen rund um das Geißbockheim (Trainingsgelände des 1. FC Köln, d. Red.).

Liegengebliebenes wird nachgeholt

"Wir versuchen nun auch Dinge zu machen, die sonst zu kurz gekommen sind. Der Garten war noch nie so schön und sauber wie gerade", sagt Janßen und lacht. Den Humor hat er nicht verloren.

Einige Sachen, die im Büro liegen geblieben seien, habe Janßen bearbeiten können. Auch für seine Trainerlaufbahn habe er bestimmte Dinge erledigen können, die in seinem Kopf waren. Zudem habe er jetzt die Zeit, um mehr zu lesen, sich über die aktuelle Situation zu informieren oder "einfach mal einen Film zu schauen".

Auch Zeit für sich selbst zu haben, müsse man ein Stück weit neu lernen, merkt Janßen, "vor allem, weil der zeitliche Stressfaktor weg fällt".

Ganz ohne Wettkampf geht es daheim aber nicht, denn es gibt die verschiedensten Spielerunden. "Insgesamt bietet diese Situation die Chance, sich für sich mal wieder Zeit zu nehmen für seine Liebsten", sagt Janßen.

Erhöhtes Konfliktpotenzial im Hause Janßen

Es geht natürlich nicht immer nur friedlich zu. "Wir stellen wie viele andere Familien auch fest, wenn man sehr viel Zeit auf begrenztem Raum mit sehr eingeschränkter Bewegungsfreiheit zusammen verbringt und nicht weiß, wann sich das ändert, dann erhöht sich das Konfliktpotenzial."

Zusätzlich sei es für Janßen auch "extrem schwierig zu akzeptieren, keine Freunde zu treffen, die Geburtstagsfeier abzusagen und praktisch nur mit uns selber zusammen zu sein".

Doch eins weiß er: "Wenn wir diese schwere Aufgabe, die vor uns allen liegt, in allen Lebensbereichen, eher als eine Chance als ein Problem ansehen, dann haben wir begonnen zu begreifen, dass es am Ende an uns selbst liegen wird, was passiert."