Wien statt Warschau: Flüchtender Olympia-Star trickst Lukaschenko aus

Wien statt Warschau: Flüchtender Olympia-Star trickst Lukaschenko aus

Als Kristina Timanowskaja am Mittwoch in Tokio die polnische Botschaft verlässt, ahnt noch niemand, dass ihre Abreise von den Olympischen Spielen zu einer Flucht wie in einem Spionage-Film wird.

Es ist früher Morgen in Japans Hauptstadt. Die belarussische Leichtathletin wird mit einem Van zum Flughafen gebracht. Zahlreiche Kameras und Fotoapparate fangen die Abfahrt ein.

Wenig später kommt Timanowskaja am Flughafen Narita, 60 Kilometer nordöstlich von Tokio, an. Die 24-Jährige trägt eine Sonnenbrille und eine hellgrüne Maske.

Sie wird begleitet von mehreren Sicherheitsbeamten. Der Tross verschwindet in einem Aufzug zu einem VIP-Bereich.

Flucht von Timanowsaja: Route kurzfristig geändert

Ein Linienflug der polnischen Airline LOT steht bereit. Um 10.39 Uhr soll Timanowskaja mit dem Flug LO80 ins Asyl nach Warschau gebracht werden.

Doch die Pläne werden geändert. Mit dem Flug OS52 der Austrian Airlines fliegt Timanowskaja nach Wien. Dort wartet bereits auf dem Rollfeld ein Van gefolgt von zwei Polizeifahrzeugen.

Von Wien soll sie noch am Abend nach Warschau weiterreisen, wie ein Sprecher der österreichischen Regierung der französischen Nachrichtenagentur AFP sagte.

Der Grund für die Flug-Änderung waren Sicherheitsbedenken.

Timanowskaja hat Angst vor einer Entführung

Die schlimmen Erinnerungen an dem Vorfall im Mai schwingen mit, als ein Ryanair-Flugzeug zur Landung in Minsk gezwungen wird und der Oppositionelle Roman Prostasewitsch, ein Gegner von Präsident Alexander Lukaschenko, festgenommen wird.

Timanowskaja hat sich aus Angst vor Lukaschenko und einer Entführung ins polnische Asyl begeben. Zuvor hatte sie Kritik an Sportfunktionären ihres Landes geübt.

“Ich habe nur kritisiert, dass unsere Chef-Trainer über das Staffellauf-Team entschieden haben, ohne sich mit den Sportlern zu beraten. Dass das solche Ausmaße annehmen und zu einem politischen Skandal werden kann, hätte ich nie gedacht”, sagte Timanowskaja der Bild.

IOC-Sprecher: “Diese Dinge brauchen Zeit”

Während Timanowskaja Tokio verlassen hat, ermittelt das Internationale Olympische Komitee nun gegen das belarusische NOK. Ein schneller Ausschluss noch in Tokio ist nicht zu erwarten. “Diese Dinge brauchen Zeit”, sagt IOC-Sprecher Mark Adams.

Im fernen Berlin fordert Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, auch vom IOC Erklärungen. Zum Beispiel, “wie es möglich war, dass eine Athletin offenkundig gegen ihren Willen aus dem Olympischen Dorf gebracht werden konnte - einem Ort, an dem die Sportlerinnen und Sportler doch unter dem Schutz des IOC stehen sollen”, sagt die SPD-Politikerin dem SID.

Das IOC ist in den vergangenen Monaten nicht völlig untätig geblieben. Lukaschenko, bis dahin NOK-Vorsitzender, ist inzwischen zur “persona non grata” erklärt worden, dessen Sohn Wiktor wird die Anerkennung als Nachfolger verweigert.

Als die Polizei nach den von der EU nicht anerkannten Wahlen im vergangenen Sommer mit Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen war, hatten sich viele Athleten in einem Offenen Brief mit den Regime-Gegnern solidarisiert – darunter befand sich auch Timanowskaja.

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