Störfeuer, Lichtblicke, Trainerfrage: Das große EM-Fazit

Eine dürftige Vorrunde, eine deutliche Leistungssteigerung in der Hauptrunde und am Ende ein Sieg gegen Portugal.

Die Europameisterschaft bot für die deutsche Handball-Nationalmannschaft viel Licht und Schatten. Zwar wurde das anvisierte und vorher offensiv kommunizierte Ziel Halbfinale verpasst, mit Platz fünf gestaltete sich das Ergebnis letztendlich aber doch noch zumindest versöhnlich.

Viel Zeit, die EM abzuhaken, bleibt den Männern von Bundestrainer Christian Prokop aber nicht. Bereits Mitte April geht es für die DHB-Auswahl in der Berliner Max-Schmeling-Halle um das Ticket für die Olympischen Spiele in Tokio.

Gemeinsam mit Christian Schwarzer, Weltmeister von 2007 und Olympia-Silbermedaillengewinner von 2004, macht SPORT1 zwischen EM und Olympia den Check: Was lief gut, was lief schlecht und wodurch wurde die Mannschaft (negativ) beeinflusst?

Kastening macht Lust auf mehr

Timo Kastening gehört spätestens nach seiner Gala-Vorstellung im ersten Hauptrundenspiel gegen Weißrussland zweifelsohne zu DEN Shootingstars der Europameisterschaft.

Wusste im ersten Gruppenspiel nicht einmal der Bundestrainer mehr den Namen des EM-Debütanten des TSV Hannover-Burgdorf, hat sich dieser inzwischen seinen Stammplatz auf Rechtsaußen erkämpft und zählt zu den größten Hoffnungsträgern vor der anstehenden Olympiaqualifikation.

"Timo hat sich jetzt natürlich in den Vordergrund gespielt, ein richtig gutes Turnier geboten. Echt Klasse!", ist dementsprechend auch Christian Schwarzer voll des Lobes für den 24-Jährigen.

Als Belohnung für seine guten Leistungen wurde der Kabinen-DJ und Kaffee-Junkie von der Europäischen Handballföderation (EHF) jüngst sogar in die Mannschaft der Hauptrunde gewählt und stand als einer der Kandidaten für das All-Star-Team zur Wahl.

Deutschland fehlt ein echter Stratege im Rückraum

Mit Fabian Wieder (Knie-OP) und Steffen Weinhold (Fußentzündung) mussten zwei der absoluten Leistungsträger im deutschen Rückraum ihre EM-Teilnahme wenige Wochen vor Turnierstart absagen.

Und weil in Martin Strobl, Simon Ernst und Tim Suton (beide Kreuzbandriss) drei weitere nominelle Mittespieler nicht zur Verfügung standen, musste Christian Prokop improvisieren und Paul Drux, Wiedes Vereinskollege von den Füchsen Berlin, von Halblinks in die Mitte ziehen.

Zwar löste der gebürtige Gummersbacher diese Aufgabe mehr als ordentlich, dennoch wurde deutlich, dass der DHB-Auswahl in vielen Situationen ein echter Stratege - wie etwa Norwegens Sander Sagosen, Domagoj Duvnjak, Luka Cindric und Igor Karacic (alle Kroatien) oder Aaron Pálmarsson (Island) - fehlte.

"Da sind immer Strategen auf dem Spielfeld, die das Spiel dementsprechend steuern und das hat uns vielleicht ein bisschen gefehlt. Gerade in wichtigen Spielen und Phasen ist es gut, wenn du so einen Spieler auf dem Feld hast, der in jeder Spielphase weiß, wie, wann und was zu tun ist", analysiert Schwarzer.

An Christian Prokop scheiden sich weiter die Geister

Kaum eine Personalie wurde bei der EM so intensiv und heiß diskutiert wie die von Bundestrainer Christian Prokop.

Man sei seit der WM 2019 "keinen Schritt nach vorne gekommen", habe "die Vorrunde total verschlafen" und nach wie vor "Defizite im Angriff" kritisierte etwas Daniel Stephan, Welthandballer des Jahres 1998, den 41-Jährigen im Verlauf der EM mehrfach scharf und machte auch keinen Hehl daraus, dass dieser für ihn "nicht der Richtige" sei.

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Dennoch stellte sich der DHB in Person von Sportvorstand Axel Kromer und Vizepräsident Bob Hanning immer wieder schützend vor Prokop und versuchte so, eine Trainerdiskussion erst gar nicht aufkommen zu lassen.

"Ich denke nicht, dass da noch was passiert, schließlich ist im April schon das Turnier", geht daher auch Christian Schwarzer von einem Verbleib Prokops als Bundestrainer nach der EM aus. Fakt ist aber auch, dass der ehemalige Bundesligaspieler bei den nächsten Turnieren liefern muss, will er die Diskussion um seine Person beenden.

Es wäre deutlich mehr drin gewesen

Trotz der herben Sieben-Tore-Niederlage gegen Spanien in der Vorrunde hatte man in der Hauptrunde noch immer alle Trümpfe in der eigenen Hand und hätte mit vier Siegen das vorher gesteckte Ziel Halbfinale erreicht. Umso bitterer daher, dass man gegen die Kroaten einen zwischenzeitlichen Fünf-Tore-Vorsprung noch verspielte.

"Mit Spanien und Kroatien hatten wir nur zwei Teams auf Weltniveau in unserer Gruppe, die anderen guten Mannschaften waren alle in der anderen Gruppe. Hätte man es geschafft, eines der beiden Spiele zu gewinnen, wäre natürlich mehr drin gewesen", fiel entsprechend auch das Fazit von Schwarzer zum sportlichen Abschneiden der DHB-Auswahl aus.

Noch ärgerlicher wird das Ganze mit einem Blick auf die Hauptrundengruppe II, in der die Ausbeute von 6:4 Punkten sogar zum Erreichen des Halbfinals gereicht hätte. Doch am Ende hat es die DHB-Auswahl einfach in der entscheidenden Phase gegen Kroatien verpasst, den Sack zuzumachen.

"Es ist jetzt, wenn man es ganz nüchtern betrachtet, keine Enttäuschung, weil man nicht weit von der Spitze entfernt ist. Die Leistung der Mannschaft war – mit einer dürftigen Vorrunde und einer deutlichen Leistungssteigerung in der Hauptrunde - okay", sieht Schwarzer dennoch nicht alles negativ.

Etwas mehr Demut würde Bob Hanning und dem DHB guttun

Vor allem Hanning scheute sich während der EM nicht davor, immer wieder gegen Experten, Journalisten aber auch die eigene Mannschaft zu sticheln.

"Er hat natürlich mit seiner Aussage, wo er von einem Charaktertest gegen Österreich spricht, für Unruhe gesorgt. Ich tue mich damit schwer, wenn Leute von einem Charaktertest sprechen, die niemals in so einer Situation waren, ein entscheidendes Spiel wie das gegen Kroatien verloren zu haben", moniert Schwarzer daher.

Zugleich kritisiert der 50-Jährige auch den offensiven Umgang des DHB mit der Zielsetzung Halbfinale und den anschließenden Ausflüchten nach dem Verpassen dieses, man habe dafür schlichtweg zu viele Ausfälle gehabt.

"Es ist natürlich eine Begründung, aber bleibt man dabei und sagt, man müsse eine Medaille gewinnen? Was man intern gesagt hätte, steht vielleicht wieder auf einem anderen Blatt Papier. Aber nach außen, um einfach dem ganzen Team etwas Druck zu nehmen, hätte man das ein bisschen anders kommunizieren können", schließt er ab.