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Streit der Aldi-Erben eskaliert: Jetzt greift die Stiftungsaufsicht ein

Der Vorwurf der Veruntreuung von Stiftungsgeldern schreckt die Milliardärsfamilie Albrecht auf. Eine Anordnung der Aufsicht könnte nun Klarheit bringen.

Ein Streit der Aldi-Gründerfamilie erschüttert die Stiftungen, die das Unternehmen finanzieren. Foto: dpa
Ein Streit der Aldi-Gründerfamilie erschüttert die Stiftungen, die das Unternehmen finanzieren. Foto: dpa

Das Schreiben mit Datum des 3. September 2020, das auf dem Schreibtisch des Sprosses der Aldi-Nord-Dynastie landete, war gleichermaßen ungewöhnlich wie brisant. Denn den Vorstand der Jakobus-Stiftung erreichte eine Anordnung nach Paragraf 12 des schleswig-holsteinischen Stiftungsgesetzes. Die Stiftungsaufsicht, der Kreis Rendsburg-Eckernförde, forderte die Beteiligten darin auf, den Vorstand der Jakobus-Stiftung endlich satzungsgemäß zu besetzen.

In der Jakobus-Stiftung, deren Vorstandsvorsitzende die Tochter aus dem Hause Albrecht ist, liegt nicht nur das Milliardenvermögen, das der Aldi-Gründersohn Berthold Albrecht hinterlassen hat. Aus diesem Geld wird auch die Expansion des Discounters Aldi Nord gespeist – und ohne die Zustimmung der Stiftung können keine strategischen Entscheidungen des Unternehmens getroffen werden.

Die Besetzung des Stiftungsvorstands ist zum Kern eines Wirtschaftskrimis geworden, der offensichtlich völlig aus dem Ruder läuft. Bereits seit Jahren streiten die Erben des Aldi-Nord-Gründers Theo Albrecht um Milliarden und letztlich auch die Macht über das Unternehmen vor verschiedenen Gerichten. Jetzt hat der erbitterte Erbstreit einen Zweig der Familie offenbar zerrüttet, der bisher zusammenhielt und damit eine ganz neue Eskalationsstufe erreicht. Bei der Staatsanwaltschaft Kiel ist eine Strafanzeige wegen Untreue eingegangen.

Hinter den Kulissen: Kampf um Real-Standorte

Laut Informationen des Handelsblatts hat Nicolay, der einzige Sohn unter fünf Kindern, drei seiner Schwestern angezeigt. Und den Rechtsanwalt, der bisher die Interessen der gesamten Familie vertrat, gleich mit. Die Staatsanwaltschaft Kiel gibt dazu auf Nachfrage lediglich an: „Im August 2020 ist bei der Staatsanwaltschaft eine Privatanzeige gegen drei Familienmitglieder der Familie Albrecht und einen Rechtsanwalt eingegangen. Diesen wird eine Untreue zum Nachteil der Jakobus-Stiftung mit Sitz in Nortorf vorgeworfen. Aufgrund der Strafanzeige ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Derzeit werden die Vorwürfe geprüft.“

Die Kanzlei Noerr, die die Interessen von Nicolay vertritt, reagierte auf Nachfrage zu der Anzeige und den Motiven dafür nicht, die restliche Familie des verstorbenen Berthold Albrecht und der beschuldigte Anwalt wollten sich auf Anfrage des Handelsblatts nicht zu den Vorwürfen äußern.

Weiter gehende Angaben zu den Details des Vorwurfs und der mutmaßlichen Schadenshöhe will auch die Staatsanwaltschaft nicht machen. Informierten Kreisen zufolge aber sollen sich die beschuldigten Familienmitglieder mit Unterstützung des Anwalts vom Konto der Jakobus-Stiftung Ende 2019 Ausschüttungen in beträchtlicher Millionenhöhe haben zahlen lassen.

Kern der Vorwürfe: Da der Vorstand der Stiftung nicht satzungsgemäß besetzt ist, hätten diese Millionenbeträge gar nicht bewilligt werden dürfen.

Satzungsänderung letztinstanzlich bestätigt

Dabei müsste die Rechtslage eigentlich klar sein. Schon im April 2019 hat das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich klargestellt, dass eine Satzungsänderung, die Berthold Albrecht noch kurz vor seinem Tod 2012 erlassen hatte, rechtmäßig ist und nicht mehr angefochten werden kann.

Seitdem müsste der Vorstand der Stiftung infolgedessen neu besetzt werden. Es säßen dann dort weiter zwei Familienmitglieder, die aber nicht mehr die Mehrheit hätten. Sie müssten sich dann mit zwei Vertretern des Unternehmens Aldi Nord einigen, beispielsweise wenn Gelder der Stiftung ausgezahlt werden sollen. Fragen des Handelsblatts, warum der Vorstand nicht entsprechend neu besetzt wurde, blieben unbeantwortet.

Lange war auch die Stiftungsaufsicht untätig geblieben. Sie hatte lediglich im August 2019 „den schriftlichen Hinweis erteilt, dass eine satzungsgemäße Besetzung des Vorstands vorzunehmen ist“, wie sie dem Handelsblatt auf Nachfrage mitteilte. Denn auch für die Behörde ist klar: „Der Stiftungsvorstand der Jakobus-Stiftung ist aus Sicht der Stiftungsaufsicht noch nicht korrekt besetzt worden.“ Erst die Strafanzeige hat nun offenbar dafür gesorgt, dass die Aufsicht die schärferen Instrumente des Stiftungsgesetzes auspackt.

Dabei ist die Strafanzeige nur der vorläufige Höhepunkt eines immer weiter eskalierenden Streits unter den Erben des Aldi-Nord-Imperiums. Dabei ging es zunächst um persönliche Animositäten zwischen Gründersohn Theo jun. und Babette Albrecht, der Witwe seines Bruders Berthold, die sich über die Jahre zu einer offenen Feldschlacht auswuchsen.

“Der große Aldi-Jackpot”: Viele Kunden verärgert

Theo jun. ist als einziger der Beteiligten aktiv im Konzern tätig. Er tritt stets als Bewahrer der traditionellen Prinzipien der Aldi-Dynastie auf, die auf Verschwiegenheit und bescheidene Lebensführung großen Wert legt. Babette dagegen gilt als lebenslustig, sie tritt in der Öffentlichkeit auf und gönnte sich gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann teure Hobbys wie eine Oldtimer- und Kunstsammlung.

In die Schlagzeilen geriet Babette Albrecht auch durch den Prozess gegen den Kunsthändler Helge Achenbach, der ihr und ihrem Mann Kunstwerke und Oldtimer im Wert von rund 120 Millionen Euro verkauft hatte. Sie hatte ihn wegen Betrugs durch „verdeckte Preisaufschläge“ angezeigt. Sie bekam recht, und Achenbach wurde verurteilt. Doch ihr Schwager hätte sich wohl eher gewünscht, sie hätte dies abseits der Öffentlichkeit geregelt.

„Die – teilweise peinlichen – Auftritte meiner Schwägerin in der Öffentlichkeit und auch die zahlreichen von ihr geführten Prozesse sind eine Belastung für unser Unternehmen“, hatte Theo Albrecht jun. in einem Interview mit dem Handelsblatt, dem einzigen, das er je gegeben hat, gesagt. „Die Lebensführung meiner Schwägerin hat mich gestört“, sagte er bei dem Gespräch im Sommer 2016.

Offenbar hatte sogar Berthold Albrecht selber schon Bedenken, zu viel Geld und Verantwortung zu früh in die Hände seiner Kinder zu legen. In seinem Testament, das dem Handelsblatt vorliegt, verfügte er beispielsweise, dass Zahlungen aus dem Testament an die Kinder „grundsätzlich erst mit der Vollendung des 32. Lebensjahres“ erfolgen sollen. Als Testamentsvollstrecker hatte er Emil Huber eingesetzt, einen Anwalt, der nicht nur die Familie, sondern auch die Unternehmensgruppe Aldi Nord berät.

Stiftungen dürfen nur gemeinsam entscheiden

Kurz vor seinem Tod dann änderte er die Satzung der Jakobus-Stiftung so, dass im Vorstand nicht mehr die Familienmitglieder die Mehrheit haben – und damit weder Entscheidungen im Unternehmen blockieren noch sich selber außerordentliche Zuwendungen aus der Stiftung bewilligen können. Im Vorstand sollen danach vier Personen sitzen: zwei Familienmitglieder, ein Vorstandsmitglied der Unternehmensgruppe Aldi Nord und ein die Unternehmensgruppe beratender Anwalt.

Aldi Nord wird von drei Familienstiftungen finanziert, neben der Jakobus-Stiftung sind das die Lukas- und die Markus-Stiftung. Sie dürfen nur gemeinsam entscheiden, ob beispielsweise Geld für die Expansion der Firma ausgezahlt wird. Um sicherzustellen, dass die Interessen des Unternehmens nicht gefährdet werden, wurde damals nach Angabe von Theo Albrecht jun. in allen drei Stiftungen die Satzung entsprechend geändert. „Der Sinn der Stiftung ist es, das Unternehmen vor einem zu großen Einfluss der Familie zu schützen“, sagte der Gründersohn im Interview mit dem Handelsblatt.

Die Töchter von Berthold jedoch sahen ihren Einfluss beschnitten und sind, unterstützt von ihrem Anwalt Andreas Urban, dagegen gerichtlich vorgegangen. Letztlich waren sie damit erfolglos. Doch Konsequenzen aus diesen Urteilen hat der Stiftungsvorstand nicht gezogen.

Eine Person, die mit den Vorgängen gut vertraut ist, ordnet die Situation in der Stiftung auf Nachfrage des Handelsblatts ein. Bis der Stiftungsvorstand ordnungsgemäß zusammengesetzt sei, bestehe ein Art Haushaltssperre, letztlich also ein Stopp aller nicht notwendigen Abflüsse. Und die Ausschüttungen an Begünstigte gehörten klar nicht dazu. Demnach könne es eng werden für die Familienmitglieder und den Anwalt, die am Zustandekommen der Ausschüttungen beteiligt waren. Und selbst wenn die Anzeige zurückgezogen werden sollte, werde die Staatsanwaltschaft die Sache wohl weiterverfolgen.

Ein interessantes Detail: Nach Auskunft der Stiftungsaufsicht besteht der Stiftungsvorstand zurzeit aus zwei Schwestern der Familie Albrecht und dem Anwalt Emil Huber. Das Verhältnis zwischen den Berthold-Albrecht-Erben und Huber, der ein enger Vertrauter von Theo Albrecht jun. ist, ist jedoch zerrüttet. Das gilt spätestens seit der Eröffnung des Testaments von Berthold Albrecht, das seine Familie als Affront auffasste. Denn sie sollen der Überzeugung sein, dass Huber selber an der Erstellung des Testaments beteiligt war.

Aldi: Staatsanwaltschaft prüft Untreue-Vorwürfe

Huber stellt deshalb klar, dass er - obwohl er formal Vorstand ist - an den Auszahlungen an die Begünstigten, wegen deren jetzt die Staatsanwaltschaft ermittelt, in keiner Weise beteiligt war. Auf Nachfrage des Handelsblatts ließ er mitteilen, dass er weder zu den Vorstandssitzungen der Jakobus-Stiftung eingeladen worden sei noch jemals daran teilgenommen habe. Ihm sei deutlich gemacht worden, dass er dort „ausdrücklich unerwünscht“ sei.

Nun liegt der weitere Fortgang der Dinge in der Hand der Staatsanwaltschaft - und der Stiftungsaufsicht. Denn die Behörde hat ja eine Anordnung erlassen, nach der Beschlüsse und Maßnahmen der Stiftungsorgane, die gegen die Satzung verstoßen, nicht vollzogen oder, soweit rechtlich möglich, rückgängig gemacht werden.

Dass eine Aufsichtsbehörde eine Anordnung zur satzungsgemäßen Besetzung des Vorstands erlässt, ist „äußert selten und das schärfste Schwert, das sie hat“, ordnet einer der führenden Experten für Stiftungen und Vermögensnachfolge hierzulande die Situation ein. „Es spricht für eine massive Verstimmung, vergleichbar dem, wenn die Bafin an der Zuverlässigkeit eines Bankvorstands zweifelt.“

Sollte der Stiftungsvorstand darauf nicht reagieren, bleibt der Aufsicht die nächste Eskalationsstufe: Sie könnte einen Antrag auf gerichtliche Bestellung des Vorstands stellen – und damit die Aldi-Erben in der Stiftung endgültig entmachten.

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