Surer: So könnte die Formel 1 die Saison jetzt retten

Die Corona-Krise hat schlussendlich auch die Formel 1 lahmgelegt. Nach einem chaotischen Schlingerkurs verkündeten die F1-Bosse kurz vor dem Freien Training am Freitag doch die Absage des Saisonstarts in Melbourne.

Die Königsklasse des Motorsports hat sich nicht mit Ruhm bekleckert.

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Was hätte die Formel 1 besser machen können? Wie geht es weiter und welche Folgen drohen gerade kleinen Teams? SPORT1 hat mit dem Formel-1-Experten Marc Surer gesprochen.

SPORT1: Herr Surer, der Auftakt in die Formel 1 in Melbourne wurde relativ kurzfristig abgesagt. Wie bewerten Sie die Vorgänge?

Marc Surer: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Es gab ja schon von Anfang an Probleme, wie beispielsweise die unklare Einreise für italienische Teammitglieder. Eigentlich hätte man das Ganze schon im Vorfeld absagen müssen, denn das Ganze stand unter keinem guten Stern. Es hat sich auch immer mehr verdichtet, immer mehr Sportveranstaltungen wurden abgesagt. So hat man im Vorfeld bereits erahnen können, was jetzt passiert ist.

Späte Entscheidung unglücklich

SPORT1: Etwa elf Stunden hat es gedauert, bis die Verantwortlichen das Rennen nach dem Bekanntwerden des Corona-Falls bei McLaren abgesagt haben. War das aus Ihrer Sicht schnell genug oder hat es viel zu lange gedauert?

Surer: Es gibt ungefähr 2.000 Menschen, die in der Formel 1 arbeiten. Da kann man sich die Frage stellen, ob man wegen eines positiven Falles die Veranstaltung absagen muss. Es waren bereits alle vor Ort. Ich weiß nicht, ob die Absage irgendwem etwas gebracht hat.

Die meisten reisen zwei Tage früher zurück. Hat das wirklich den großen Unterschied gemacht? Der Fehler war, dass man grundsätzlich da hingegangen ist. Die Entwicklung basiert natürlich auch auf den Geschehnissen der letzten Tage, als die WHO eine Pandemie ausrief.

Seit diesem Punkt ist es rechtlich gesehen "höhere Gewalt". Denn es steckt natürlich viel Geld dahinter, allein die Einnahmen für den Veranstalter betragen um die 60 Millionen Dollar. Irgendjemand muss rechtlich dafür geradestehen, denn eine Absage ist natürlich schon ein großer Verlust.

SPORT1: Haben die Vorgänge in Melbourne dem Image der Formel 1 geschadet?

Surer: Durch die Absage gab es keinen Schaden, es sagen alle: Das war die richtige Entscheidung. Der Vorgang bis dorthin war ein bisschen unglücklich. Es gibt die Veranstalter und die Politik, die wollen, dass die Teams fahren. Bei den Teams selbst war es wohl 50:50, wie ich hörte.

Dann musste jemand die Entscheidung treffen, was die Verantwortlichen dann getan haben. Die 50 Prozent der Teams, die fahren wollten, dachten sich wohl auch: "Jetzt sind wir da, dann können wir auch fahren. Das Kind ist ohnehin schon in den Brunnen gefallen."

Terminchaos? "Man braucht die Sommerpause nicht"

SPORT1: Mit Bahrain und Vietnam wurden nun zwei weitere Rennen abgesagt. Die richtige Entscheidung?

Surer: Jetzt kann man nicht mehr anders handeln, als man es schon vor Melbourne hätte machen sollen. Nämlich rechtzeitig abzusagen. Solange sich die Situation nicht weltweit bessert, braucht man gar nicht dran denken, ein Rennen zu fahren. In Bahrain war das schon ein Gewürge mit dem Rennen ohne Zuschauer, denn die Teams, die in Hotels wohnen, haben auch Kontakt mit der Bevölkerung.

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SPORT1: Wie geht es danach weiter? Drohen weitere Absagen?

Surer: Der Vorteil nach den Absagen ist jetzt, dass man sagen kann: Wir warten, bis sich die Lage verbessert, und starten dann wieder. Dafür müsste nicht einmal der Rennkalender komplett umgeschmissen werden. Man braucht die Sommerpause nicht unbedingt und könnte dort dann zwei Rennen stattfinden lassen. So könnte die Saison nach hinten geschoben werden, wo es möglich ist. Das muss in den nächsten Wochen entschieden werden. Dass noch einmal irgendwo angereist wird und dann abgesagt wird, darf nicht mehr passieren.

Anderes Kräfteverhältnis nach Pause möglich

SPORT1: Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko sagte nach der Absage von Melbourne, er glaube, dass erst im Juni wieder gefahren werden könne. Ist das wirklich die Realität?

Surer: Ich glaube nicht, dass sich die Lage in einem Monat schon deutlich verbessert hat. Man muss abwarten, bis es wärmer wird und erst dann anfangen, wieder Rennen zu fahren. Ich sehe auch die ersten drei Europa-Rennen gefährdet.

SPORT1: Durch die Absage steht der Saisonstart noch aus. Können die Teams ihre Autos trotzdem weiterentwickeln?

Surer: Sie haben sich geeinigt, die nächsten zwei Wochen nichts zu machen. Darüberhinaus gibt es aber keine weiteren Vorschriften, es kann jedes Team weiterentwickeln. Die Teams, die nach den Testfahrten noch aufholen mussten, haben jetzt genügend Zeit, um neue Teile zu produzieren. Dadurch könnte ein anderes Kräfteverhältnis in der Formel 1 entstehen, wenn die Saison losgeht. Man hat zwar keine Testfahrten, aber alle Daten und hat die anderen Autos gesehen. Jetzt werden im Windkanal die Teile kopiert und geschaut, was wirklich etwas bringt.

Egoisten statt Solidarität in der Formel 1

SPORT1: Was bedeuten die Absagen finanziell für die Teams? Drohen Pleiten von kleineren Teams?

Surer: Die Teams müssen die Löhne natürlich weiterhin bezahlen und dennoch wird es sich erst im kommenden Jahr herausstellen, ob es zu Pleiten kommt. Denn in der Formel 1 wird das Preisgeld immer erst im kommenden Jahr ausgezahlt.

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Dieses Jahr muss kein Team leiden, dafür gibt es kommendes Jahr deutlich weniger. Doch dort gibt es dann die Budgetdeckelung, die den Abstand zwischen den Teams verringern soll, sodass die großen Teams nicht mehr über so viel mehr finanzielle Mittel verfügen als der Rest des Feldes.

Aber wenn die kleinen Teams weniger Preisgeld erhalten aufgrund von Ausfällen, kann ihnen das schon wehtun. Denn sie setzen natürlich auf diese Einnahmen und leben teilweise bis zur Hälfte davon.

SPORT1: Kommt es dann zu einer Art Solidarität unter den Teams?

Surer: (lacht) In der Formel 1 sind alle Egoisten.