Toni Kroos: Das Genie wird ungemütlich

Toni Kroos hält die deutsche Nationalmannschaft dank seines genialen Moments gegen Schweden im WM-Turnier und zeigt dabei ganz neue Seiten.

Toni Kroos und sein legendärer Schlenzer in den rechten schwedischen Giebel
Toni Kroos und sein legendärer Schlenzer in den rechten schwedischen Giebel

Beinahe hätte es das Last-Second-Tor der DFB-Elf gegen Schweden gar nicht gegeben. Zumindest nicht auf so spektakuläre Weise. Marco Reus hatte nämlich einen ganz anderen Plan als den, der letztlich auch ausgeführt wurde.

“Marco und ich haben uns erstmal die Situation angeschaut”, sagte Kunstschütze Toni Kroos. “Aber es war übers Spiel verteilt so, dass meistens hohe Flanken relativ einfach herausgeköpft wurden von Schweden. Dann wollte der Marco erst direkt schießen. Da hab ich gesagt: ‘Hm, bin ich nicht überzeugt von.'” Letztlich habe man sich gemeinsam darauf geeinigt, “einfach nochmal reinzuspielen, um einen etwas besseren Winkel zu bekommen für den Schuss – und dann zu schießen.”

Eine weise Entscheidung. Deutschland hat es Kroos’ Entschlossenheit in der Diskussion mit Reus, seinem Mut und seiner Genialität zu verdanken, kommenden Mittwoch gegen Südkorea aus eigener Kraft das WM-Achtelfinale erreichen zu können. Timo Werner, der nicht nur das 1:1 durch Reus vorbereitet, sondern auch den letzten Freistoß im Spiel herausgeholt hatte, war noch lange nach Spielende baff: “Ich glaube, in diesem Turnier gibt es keine normalen Tore. Entweder sind es Standardtore, Eigentore oder Traumtore. Und es war wieder ein Traumtor, das uns hier geholfen hat, noch im Turnier zu sein. Wir sind dadurch wieder über der Erde.”

So reagierte das Netz auf Kroos’ Traumtor

Kroos’ emotionaler Ausbruch

Was das Erlöser-Tor für die Nationalspieler und speziell für Toni Kroos tatsächlich bedeutete, wurde beim Jubel deutlich. Völlig untypisch für sein sonst so entspanntes Gemüt rannte Kroos Richtung deutsche Fankurve, ballte beide Fäuste und brüllte einen Mix aus Freude und Frust heraus. So emotional hat man Kroos noch nie gesehen. Nicht nach dem WM-Titel 2014, nicht nach seinen inzwischen vier Champions-League-Triumphen, geschweige denn nach einer Meisterschaft oder einem nationalen Pokalsieg.

Wenn man Kroos zuschaut, hat man immer das Gefühl, er würde mit seinen Kindern ein bisschen im Garten kicken, oben ohne und barfuß, so scheinbar unemotional und unaufgeregt spult er sein Pensum runter. Dabei macht es keinen Unterschied, ob er in der Copa Del Rey gegen Extremadura spielt oder im CL-Finale gegen Liverpool.

“Wenn man 400 Pässe spielt…”

Doch der Samstagabend in Sotschi war gleich in mehrfacher Hinsicht ein sehr bemerkenswerter Auftritt des 28-Jährigen, nicht nur wegen seiner Gefühlsexplosion.

Kroos hatte mit einem schäbigen Fehlpass Schwedens Führungstreffer verschuldet. Er nahm den Fauxpas auf seine Kappe, ohne sich dabei aber selbst ein Türchen zu öffnen, das seinen Fehler etwas relativiert. “Wenn man 400 Pässe pro Spiel macht, kann es schon mal passieren, dass zwei nicht zum Mitspieler kommen”, sagte Kroos.

Erst schluderte Kroos die Mannschaft mit seinem Fehler auf die Intensivstation, um sie dann mit der letzten Aktion wiederzubeleben. Das habe einigen Kritikern in Deutschland gar nicht gefallen, mutmaßte Kroos anschließend.

Kroos mit Medienschelte

Es hätte viele Leute gefreut, wenn wir rausgeflogen wären, aber so einfach machen wir es ihnen nicht“, sagte er. Die Adressaten dieser Ansage waren nicht die Fans, sondern Experten, Ex-Spieler wie Print-Journalisten, die angeblich nur danach lechzten, das Haar in der Suppe zu suchen. “Bei mir kommt da das Gefühl an, dass es viel mehr Spaß macht, schlecht über uns zu schreiben”, sagte Kroos, um später zu beschwichtigen: “Wenn das Gefühl falsch ist, tut‘s mir leid. Aber ich habe das Gefühl ganz klar in den letzten vier, fünf Tagen gehabt.”

Als Weltmeister und mehrmaliger Champions-League-Sieger wird Kroos per se kritischer beäugt als manch anderer. Diese “Last” haben alle Führungsspieler zu tragen, weil man von ihnen mehr erwartet, als 398 angekommene Pässe. Sie müssen junge Spieler führen, vorangehen und für die besonderen Momente auf dem Platz sorgen.

Genial sind nur die ganz Großen

Im ersten Spiel gegen Mexiko war Kroos von all dem weit entfernt. Sein pomadiges, fast schon gockelhaftes Auftreten wurde zurecht kritisiert. Kroos ist nach den Rücktritten von Lahm, Mertesacker, Schweinsteiger und Klose automatisch in eine Führungsrolle bei der Nationalmannschaft geschlüpft, erst recht, seitdem er zum Stammpersonal der besten Vereinsmannschaft der Welt gehört. Da muss man sachliche Kritik zulassen und annehmen.

Kroos hat am späten Samstagabend in Sotschi die richtige Antwort gegeben. Es war dieser Schuss Genialität, der Deutschland im Turnier hielt. Den haben nur ganz große Spieler. Toni Kroos ist definitiv einer davon.