Am 36. Geburtstag erfuhr die US-Ikone, dass sie todgeweiht war

Am 36. Geburtstag erfuhr die US-Ikone, dass sie todgeweiht war
Am 36. Geburtstag erfuhr die US-Ikone, dass sie todgeweiht war

Er ist eine der größten Sportlegenden Amerikas. Und auch viele, die mit seiner Vita nicht vertraut sind, kennen seinen Namen - aus traurigen Gründen.

Lou Gehrig‘s disease - Lou-Gehrig-Syndrom - ist das vor allem in den USA geläufige Synonym für die Krankheit ALS, an der auch der bekannte Astrophysiker Stephen Hawking und der früh verstorbene Bundesliga-Fußballer Krzysztof Nowak gelitten hatten.

Auch Baseball-Star Gehrig, heute vor 82 Jahren verstorben, war kein langes Leben vergönnt. Das traurige Schicksal der Ikone der New York Yankees schuf das Bewusstsein für die unheilbare Erkrankung.

Denn das Vermächtnis, das Gehrig hinterlassen hat - und das auch in Hollywood verewigt worden ist - ist gewaltig. Und seine Geschichte nicht nur für Sport-Fans bis heute bewegend.

Lou Gehrig erlebte schon als Kind Trauriges

Lou Gehrig wird am 19. Juni 1903 in New York geboren, der deutsche Klang seines Namens ist kein Zufall: Er ist Sohn der deutschen Auswanderer Christina Foch und Heinrich Gehrig, heißt auch eigentlich Heinrich Ludwig Gehrig - sein Rufname leitete sich von „Ludwig“ ab,

Schicksalsschläge muss Gehrig schon früh verkraften: Von vier Kindern des Ehepaars Gehrig ist er das einzige, das seinen 18. Geburtstag erlebt: Sein Bruder stirbt bereits als Baby, seine beide Schwestern überleben Masern und Keuchhusten nicht. Darüber hinaus ist sein in der Stahlbranche arbeitender Vater Alkoholiker und auch wegen einer Epilepsie-Erkrankung oft arbeitslos, seine Mutter muss als Hausmädchen für einen Großteil des Einkommens der Familie sorgen.

Gehrigs sportliches Talent wird zum Ausweg aus der Armut: Er besticht an der High School in verschiedenen Disziplinen, bekommt von der Columbia University sogar ein Football-Stipendium. Seine Leidenschaft und seine Gabe für den Baseball ist aber größer.

Ein Aufstieg, der Amerika in schwerer Zeit inspiriert

Am 1. Juni 1925 feiert Gehrig sein Debüt für die Yankees, der Auftakt einer unglaublichen Serie, die Geschichte schreiben wird: Gehrig steht 2.130 (!) Spiele in Folge auf dem Platz - ein Rekord, den erst Cal Ripken Jr. 1995 übertrumpften wird.

Der First Baseman Gehrig wird sechs Jahrzehnte vorher zur Legende als ewig zuverlässiger Marathonmann, als „Iron Horse“. Er gewinnt mit den Yankees sechs Meisterschaften, wird zweimal MVP der Liga.

Gehrigs Aufstieg vom armen Einwandererkind zum großen Sporthelden ist eine inspirierende Geschichte in einer Zeit, in der Baseball noch mehr als heute die Herzkammer der amerikanischen Sportwelt ist - und willkommene Ablenkung in der Zeit der großen Wirtschaftskrise und der Bedrohung durch den heraufziehenden 2. Weltkrieg.

Mit Babe Ruth prägte er den Mythos New York Yankees

Zusammen mit Babe Ruth - der anderen großen Yankees-Legende seiner Ära - führt Gehrig die berüchtigte „Murderer‘s Row“ an, benannt nach einer Schwerbrecher-Sektion im New Yorker Tombs-Gefängnis.

Für Gehrig, Ruth und Co. ist es nur ein Kompliment wegen ihrer kongenialen sportlichen Klasse. Privat haben die beiden Ikonen dabei Spannungen kurioser Natur: Ruth meidet Gehrig ab 1933 abseits des Platzes - er ist sauer, weil Gehrigs Mutter den Kleidungsstil seiner Tochter kritisiert hatte.

Die sportliche Chemie der beiden wird nicht spürbar beeinträchtigt: Wie Ruth produziert auch Gehrig Jahr für Jahr Top-Run-Statistiken. Seine 185 RBI (Runs Batted In) von 1931 sind bis heute noch der Rekord in der American League, einer der zwei Conferences der MLB. Darüber hinaus schlägt er als erster Spieler vier Homeruns in einer Partie. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur MLB)

Dramatisches Ende einer Fabel-Karriere

Das traurige Ende der Fabelkarriere beginnt schleichend: In der Mitte der Saison 1938 stellt Gehrig bei sich erste, rätselhafte Erschöpfungssymptome fest. Im Jahr darauf stellt ein großer Leistungseinbruch Fans und Teamverantwortliche vor ein Rätsel.

Dem vorherigen Ausnahmespieler gelingt plötzlich kein einziger Homerun mehr, seine Schlagkraft hat ebenso nachgelassen wie seine Laufleistung. Schon bei der Saisonvorbereitung ist zu bemerken, dass etwas nicht stimmt. Gehrig bricht einmal sogar beim Training zusammen.

Wegen des großen Respekts vor seiner Lebensleistung zögern die Yankees, Gehrig aus der Mannschaft zu nehmen - bis der schließlich selbst an seinen damaligen Manager Joe McCarthy herantritt und ihm „zum Wohle des Teams“ mitteilt: „Ich setze mich auf die Bank, Joe.“

Als der Stadionsprecher von Gegner Detroit Tigers die Nachricht verkündet, dass Gehrigs historische 2130-Spiele-Serie beendet ist, erheben sich die Anhänger des gegnerischen Teams zu stehenden Ovationen. Gehrig sitzt auf der Bank und weint vor Rührung.

Unheilbarer Krankheit kostet Gehrig das Leben

Für den Rest der Saison bleibt Gehrig offiziell Teil der Mannschaft und ihr Kapitän, bestreitet aber kein Spiel mehr für sie. Nach einer eingehenden Untersuchung wird im Juni 1939 der Grund für das Schwinden von Gehrigs Kräften gefunden: Amyotrophe Lateralsklerose.

Damals ist der breiten Öffentlichkeit noch wenig über die Krankheit ALS bekannt - die Ärzte aber machen Gehrig frühzeitig keine Illusion: Er erfährt an seinem 36. Geburtstag, dass sein Leben sich dem Ende zuneigt.

Gehrig wird durch die Krankheit nach und nach seine motorischen Fähigkeiten verlieren und zunehmende Probleme mit dem Sprechen, Schlucken und Atmen bekommen.

Bei seiner Zugreise aus der Spezialklinik in Minnesota zurück nach New York wird Gehrig von einer Gruppe junger Pfadfinder erkannt, die ihm freundlich zuwinken und viel Glück wünschen. Gehrig winkt zurück und flüstert einem mitreisenden, befreundeten Reporter zu: „Sie wünschen mir Glück - und ich sterbe.“

Gehrigs Horror-Diagnose wird direkt öffentlich gemacht, zwei Tage später - am 21. Juni 1939 - verkünden die Yankees sein Karriere-Ende.

„Ich fühle mich wie der glücklichste Mensch der Erde“

Vor seinem Tod darf Gehrig noch miterleben, wie sein Vermächtnis umfassend gewürdigt und zelebriert wird: Die Yankees beschließen, dass Gehrigs Nummer vier nicht mehr vergeben wird, die heute zur Tradition gewordene Ehrung ist damals ein Novum in der MLB. Gehrig wird auch noch zu Lebzeiten von der Baseball Writers‘ Association in die Hall of Fame gewählt - eigentlich ist dies erst fünf Jahre nach dem Karriereende möglich. So viel Zeit hat Gehrig aber nicht mehr.

Am 4. Juli 1939 veranstaltet die MLB den „Lou Gehrig Appreciation Day“, er selbst hält dabei noch eine berühmte Rede im voll besetzten Yankee Stadium, die viele Menschen zu Tränen rührt. Der Kernsatz der Ansprache, der zur Legende wird: „Ihr habt zwei Wochen lang gelesen, wie schlecht es mir geht - heute fühle ich mich wie der glücklichste Mensch auf dem Angesicht der Erde.“ (“Today I consider myself the luckiest man on the face of the earth“)

Gehrigs „Farewell to Baseball Address“ wird zu einer der berühmtesten Reden der amerikanischen Nationalgeschichte, so bekannt wie die großen Wortbeiträge von Abraham Lincoln und Martin Luther King oder die Weltkriegs-Reden von Winston Churchill und dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt.

Fans, Teamkollegen, Gegner, die komplette Sportnation Amerika trauern, als Gehrig am 2. Juni 1941 den nicht gewinnbaren Kampf gegen die Krankheit ALS verliert. Die Flaggen in New York und allen MLB-Stadien wehen ihm zum Gedenken auf Halbmast. Präsident Roosevelt schickt Witwe Eleanor Blumen.

Hollywood-Film verewigt den Mythos

Gehrigs Rede im Yankee Stadium wird auch zum emotionalen Zentrum eines Hollywood-Films, in dem Gehrigs Leben mit Gary Cooper in der Hauptrolle nachgezeichnet wird. Das bereits 1942 gedrehte Rührstück „The Pride of the Yankees“ (“Der große Wurf“) zementiert Gehrigs Mythos in der amerikanischen Kultur auch über den Sport hinaus.

Auch Weggefährte Babe Ruth spielt in der Verfilmung von Gehrigs Leben mit - die tragischen Geschehnisse hatten zuvor dafür gesorgt, dass Ruth seinen Zwist mit Gehrig beiseite legte und dem erkrankten Teamkollegen und Frau Eleanor beistand.

Nach seinem Tod widmet die 1984 verstorbene Witwe von Gehrig ihr Leben der Aufgabe, die ALS-Forschung voranzutreiben.

Wie nachhaltig Gehrig Amerika als Sportler und Mensch inspiriert hat, zeigte sich auch deutlich über sein Ableben hinaus: 1999 erhält er bei der Wahl zum besten Teams des Jahrhunderts die meisten Stimmen.