Ein großes Rätsel

Allein und regungslos stand er nach Abpfiff auf dem Spielfeld, die Leere spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Die vergebene Großchance und das verlorene Endspiel hatten ihre Spuren hinterlassen.

Romelu Lukaku befindet sich nach der Niederlage im Champions-League-Finale gegen Manchester City auf Seiten von Inter Mailand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Die Szene, die sich in der 88. Minute abspielte, wird den 30 Jahre alten Stürmer noch lange verfolgen: Lukaku hatte die große Chance, einen Kopfball aus nur sechs Metern Entfernung zum 1:1-Ausgleichstreffer zu verwerten, doch er köpfte direkt auf City-Torhüter Ederson.

Trost fand Lukaku bei City-Star Kevin De Bruyne, der nach Schlusspfiff den Rasen im Atatürk-Olympiastadion überquerte und seinen Freund umarmte. Die beiden kennen sich seit langem und spielen zusammen in der belgischen Nationalmannschaft. Den Zuspruch von De Bruyne dürfte Lukaku bitter nötig haben.

Champions League: Inter verpasst Coup im Finale

Denn obwohl Inter Mailand stolz auf die Leistung in der vergangenen Champions-League-Saison sein kann und sollte, überwiegen beim Serie-A-Klub nun Frust und Trauer. Die Nerazzurri waren so nah dran am großen Erfolg, doch letztendlich blieb der Traum vom ersten CL-Titel seit 2010 unerfüllt.

In der Nachbetrachtung wird Lukakus vergebene Großchance, getreu dem Motto „Was wäre, wenn?“, rauf und runter analysiert und diskutiert.

Der bullige Stürmer brachte nach seiner Einwechslung in der 56. Minute zwar Schwung in die Mailänder Offensive, doch bereits nach 70 Minuten „verhinderte“ er erstmals den Ausgleichstreffer: Als Federico Dimarco den von der Latte abprallenden Ball aufs Tor köpfen wollte, stand Lukaku schlicht im Weg.

Kurios: Es war nicht das erste Mal, dass Lukaku zur falschen Zeit am falschen Ort war. In der Gruppenphase 2020 sorgte er für eine irre Rettungstat auf der falschen Seite. Damals war es ebenfalls ein Kopfball, allerdings von Alexis Sanchez, den der 1,91m-Hüne unbeabsichtigt abwehrte.

Lukaku in entscheidenden Momenten oft unglücklich

Diese unglücklichen Aktionen machen den Rekordtorschützen der belgischen Nationalmannschaft natürlich nicht zu einem schlechten Stürmer. Dennoch steht Lukakus bitterer Auftritt im Champions-League-Finale ein wenig sinnbildlich für seine gesamte Karriere: In einigen Momenten ist er großartig, in anderen - oft entscheidenden - Szenen kann er seine Qualität nicht abrufen.

Bereits bei der Weltmeisterschaft 2022 geriet Lukaku in die Kritik, als er gegen Kroatien drei klare Chancen verpasste und Belgien in der Folge ausschied. In den frühen Jahren seiner Laufbahn gab es ähnliche Momente, wie beim UEFA Supercup 2013, als Lukaku als Spieler des FC Chelsea den entscheidenden Elfmeter gegen Manuel Neuer verschoss.

Überhaupt sollte er mit den Blues nie richtig warm werden. Bei seinen Stationen West Bromwich Albion, dem FC Everton und Manchester United lief es dagegen deutlich besser.

Lukaku erst Held, dann Verräter

Mit seinem Wechsel zu Inter Mailand, der 2019 erfolgte, schien der Belgier endlich sein großes Glück gefunden zu haben. Mit beeindruckenden 24 Toren führte er Inter in der Saison 2020/21 zum ersten Meistertitel seit 2010. Doch Lukakus Rückkehr zu Chelsea führte zu einem erneuten Knick in seiner Karriere.

Die Fans von Inter fühlten sich von ihrem einstigen Helden betrogen und verunstalteten ein Wandgemälde von ihm vor dem San Siro. An der Stamford Bridge kam Lukaku mit dem damaligen Chelsea-Trainer Thomas Tuchel nicht zurecht, vermisste Spielpraxis, Mailand und seine alten Fans, die ihn als Verräter abgestempelt hatten.

Im Sommer 2022 kehrte Lukaku für eine Leihgebühr von etwa acht Millionen Euro zu Inter zurück. Große Teile der Hinrunde verpasste er verletzt, und schnell wurde die Rückholaktion als Flop betrachtet.

Rätselhafte Auftritte in der Rückrunde

In der abgelaufenen Rückrunde kam er in der Serie A zwar regelmäßig zum Einsatz, wirkte jedoch oft nicht wirklich präsent auf dem Platz. Ein ums andere Mal scheiterte er nicht nur beim Torschuss, sondern bereits bei der Ballannahme.

Bei einem trostlosen 0:0 gegen Sampdoria Genua warf Nicolo Barella nach einem weiteren groben Schnitzer von Lukaku verzweifelt und demonstrativ die Hände in die Luft. Klub-Ikone Giuseppe Bergomi bezeichnete Lukakus Auftritt bei einem Remis gegen die AC Monza wenig später sogar als „peinlich“.

Erst Ende April wachte Lukaku auf: In den letzten acht Ligaspielen der Saison erzielte er sieben Treffer und bereitete vier weitere vor. Nach der Pleite im Endspiel der Champions League bleiben zum Saisonende allerdings wieder einmal die negativen Gefühle zurück.

Nach Final-Pleite erneut rassistisch beleidigt

Ein roter Faden, der sich neben sportlichen Rückschlägen durch Lukakus Karriere zieht, sind die ekelhaften rassistischen Beleidigungen, denen er immer wieder ausgesetzt ist.

Nach dem Champions-League-Finale wurde Lukaku nun erneut Opfer einer Welle des Hasses im Internet, bei der rassistische Beleidigungen gegen ihn gerichtet wurden. Jedoch gab es auch viele User, die ihn verteidigten.

Der jüngste Vorfall reiht sich in eine lange Liste von rassistischen Vorfällen ein, die Lukaku erlebt hat. Im April dieses Jahres wurde er während eines Spiels gegen Juventus sogar wegen einer vermeintlichen Provokation beim Jubel vom Platz gestellt, obwohl zuvor Affenlaute aus den Zuschauerrängen zu hören waren.

„Anstatt vorwärtszugehen, gehen wir rückwärts“

Zwar hob der italienische Verband am Ende die Sperre auf, aber das Problem des Rassismus im italienischen Fußball ist allgegenwärtig und Lukaku ist einer derjenigen, die besonders darunter leiden.

Bereits unmittelbar nach seinem ersten Wechsel nach Italien im Jahr 2019 wurde er immer wieder zum Ziel solcher Angriffe. Lukaku reagierte damals bei Instagram mit treffenden Worten: „Anstatt vorwärtszugehen, gehen wir rückwärts.“

Jetzt dürfte Lukaku angesichts des tragischen Endes im Champions-League-Finale und den erneuten Anfeindungen froh sein, dass erstmal die Sommerpause ansteht.

Derzeit ist noch völlig unklar, wo die Zukunft des Mittelstürmers liegt, da sein Leihvertrag bei Inter ausläuft. Klar ist offenbar, dass es nicht bei Chelsea weitergeht.

Lukaku hatte bereits betont, dass er seine Zukunft in Mailand sieht und trotz eines laufenden Vertrages bis 2026 nicht zu Chelsea zurückkehren möchte.

Bei Inter wird man ihn allerdings künftig auch immer mit jener tragischen Nacht von Istanbul verbinden.