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Ungeschminkt statt perfekt poliert: Frau sorgt mit LinkedIn-Eintrag für Kontroverse

Eine US-Amerikanerin ersetzte auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn ihr offizielles Profilbild durch ein Foto, das sie ungeschminkt und in Freizeitkleidung zeigt. Damit hat sie eine Debatte ausgelöst.

Lauren Griffiths meint: Auf dem linken Bild sieht sie "perfekt poliert" aus, auf dem rechten ist sie "aufrichtig" und "verletzlich".
Lauren Griffiths meint: Auf dem linken Bild sieht sie "perfekt poliert" aus, auf dem rechten ist sie "aufrichtig" und "verletzlich". (Bild: Screenshot LinkedIn/Lauren Griffiths)

Die Haare der Frau sind offen und leicht zerzaust. Sie lächelt nicht, sondern lacht beinahe schon. Der Blick geht etwas am Kameraobjektiv vorbei. Sie trägt ein graues Sweatshirt mit rosa Bändern. Die rechte Arm ist im Ansatz zu sehen, er scheint ausgestreckt. Offenbar hält sie ein Smartphone, mit dem sie das Foto schießt, das hier beschrieben wird. Es handelt sich also wohl um ein Selfie – das die Frau, Lauren Griffiths, auf LinkedIn gepostet hat. Ausgerechnet hier, auf dem Portal also, auf dem Geschäftsbeziehungen geknüpft werden und wo sich Job-Suchende und Job-Anbieter deshalb gerne geschniegelt und gestriegelt präsentieren. Es verwundert daher nicht, dass Griffiths mit ihrer Aktion auf LinkedIn aufgefallen ist. Mehr noch: Sie hat damit eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst.

Von "perfekt poliert" zu ungeschminkt und ungezwungen

Lauren Griffiths arbeitet in der Personalabteilung des Tech-Konzerns Cisco Systems an der Ostküste der USA. Wegen der Corona-Pandemie ist sie im Homeoffice tätig. Wie viele Millionen Menschen auch muss sie zu Hause also den Spagat meistern zwischen Job und Familie. Auch für die 39-Jährige ist das keine leichte Aufgabe. Griffiths ist verheiratet und Mutter dreier Kinder. "In der entrückten Welt von heute", kommentiert sie auf LinkedIn ihr neues Profilfoto Bild, "sind die Grenzen zwischen meinem beruflichen und meinem persönlichen Selbst verwischt, und das will ich mit meinem Bild um Ausdruck bringen." Sie habe gerade ihre Kinder für die Schule fertig gemacht, fügt sie hinzu, weshalb ihre Haare noch feucht und zerzaust seien und sie einen Pullover und zerrissene Jeans trage.

Der Kontrast zu ihrem Aussehen auf dem alten Profilbild könnte nicht größer sein. Um den zu veranschaulichen, hat Griffiths die beiden Fotos auf dem sozialen Netzwerk nebeneinander montiert. Den Look einer seriösen Personalberaterin und seine Funktion beschreibt und kommentiert sie selbst: "Kürzlich habe ich mir mein LinkedIn-Profilfoto genau angesehen", schreibt sie. "Die Frau, die mich anblickte, hatte frisch gefärbtes und frisiertes Haar, einen gebügelten Blazer, und ein Lächeln, das gerade so viele Zähne zeigte, dass jeder sehen konnte, dass sie ernst, aber auch unbeschwert sein kann." Es sei das "perfekt polierte" Abbild einer "Power-Pose", meint sie.

Was ist die Botschaft der Frau?

Die Person, die sie auf dem alten Foto repräsentiere, sei sie nicht immer, fügt Griffiths hinzu. Womit sie schon die Botschaft anklingen lässt, die sie vermitteln will. Weiter unten in ihrem Posting schreibt sie: "Ich habe genug authentische Führung miterlebt und darüber gelesen, um zu wissen, dass es für die Karriere viel nützlicher ist, aufrichtig und verletzlich zu sein, als ein glänzendes Profilbild zu haben." Mit ihrer Aktion wollte sie also nicht die Art und Weise hinterfragen, wie sich Jobsuchende, Arbeitnehmer oder -geber auf Bewerbungsfotos, Job-Portalen oder sozialen Netzwerken präsentieren. Es ging ihr eher darum, zu zeigen, dass man im Job anders sein darf und sollte als der "perfekt polierte" Mensch, eben "aufrichtig" und "verletzlich".

In einem Interview mit Spiegel Online führt Griffiths ihre Haltung zu dem Thema weiter aus. Dort kritisiert sie die Neigung der Menschen nicht nur in der Arbeitswelt, die Fähigkeiten einer Person aus dem äußeren Erscheinungsbild abzuleiten. "Wir schließen oft vom Aussehen eines Menschen auf sein Können, ohne uns dessen bewusst zu sein", sagt sie. "Warum sollte jemand einem anderen überlegen sein, nur weil er einen Anzug trägt? Oder weil er oder sie eine andere Hautfarbe hat? Wie jemand aussieht, sagt doch nichts über seine Fähigkeiten aus."

Debatte im Internet

Mit ihrer Aktion hat Griffiths eine Debatte ausgelöst, die längst nicht nur auf LinkedIn geführt wird. Allein auf dem sozialen Netzwerk ist ihr Eintrag schon fast 30.000 Mal kommentiert worden. Wie das bei umstrittenen Themen üblich ist, sind die Meinungen auch hier geteilt. Im diesem Fall überwiegen die positiven Reaktionen deutlich die negativen. Nachfolgend einige Auszüge:

Die positiven Reaktionen

  • Eine Frau schreibt: "Lol. Ich bin froh, dass Sie aus dem Achtziger-Jahre-Modus herausgekommen sind. Das sieht entspannter aus."

  • Kommentar eines Mannes: "Ich glaube, ich ändere jetzt mein Profilbild".

  • Eine Frau: "Einer der unbeabsichtigten – aber tollen Folgen des Shutdowns – wir werden in der Arbeit fortan wir selbst sein. Ich liebe es."

  • Eine Frau: "Weil das das Leben ist. Sowas von wahr."

  • Ein Mann: "Einfach inspirierend"

  • Ein Frau: "Ich liebe dein neues Bild und würde mich mit deinem neuen DU mehr zu Hause fühlen."

Die kritischen Stimmen

Nicht alle LinkedIn-Nutzer stimmen mit Griffiths überein:

  • Eine Frau schreibt: "Ob wir es mögen oder nicht, aber die Menschen urteilen über uns auf der Grundlage unseres Aussehens, und das hat Auswirkungen auf unser Geschäftsleben. […] Ich glaube noch immer, dass das Buch mit dem Titel "Dress for Success", das [John T.] Molloy in den 70ern oder 80ern geschrieben hat, auch heute noch anwendbar ist. Es gibt eine Menge Wettbewerb da draußen, und wir wären schön blöd, würden wir uns nicht im besten Licht zeigen."

  • Ein Mann gibt diesem Kommentar recht: "Der erste Eindruck ist der Schlüssel."

  • Ein Mann: "Tut mir leid, aber ich denke nicht, dass das professionell aussieht. Auf dem linken Bild sieht sie viel besser aus, aber ich schätze, ich bin altmodisch."

  • Eine Frau: "Einige Leute haben den neuen "Casual Professional" zu weit getrieben."

Was meint Griffiths zu der Diskussion?

Von den Reaktionen zeigt sich Griffiths überwältigt. "Das ist verrückt", sagt sie im Spiegel-Interview. "Eigentlich wollte ich nur meinem Gefühl Ausdruck verleihen, dass das "new normal" anders aussieht als vor der Corona-Krise; authentischer, ungeschminkter." Doch ihr "sehr persönlicher Beitrag" habe "auf einmal ein Eigenleben entwickelt und ist zu einer gesellschaftlichen Diskussion geworden." Warum das so ist, dafür hat sie eine Erklärung: Sie habe den "Scheinwerfer darauf gerichtet", sagt sie und meint damit die Probleme, die sie in ihrem Posting und im Interview ausführte: auf das Problem, in der Arbeitswelt auf das Aussehen reduziert zu werden, und das Problem, im Job oft nicht sein zu können, was man eigentlich ist, nämlich ein "aufrichtiger" Mensch, der "verletzlich" ist und Fehler und Schwächen hat.

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