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"Unverantwortlich": Ärger nach Sturz-Chaos bei der Tour

Tony Martin mahnte, warnte und rief immer wieder mit erhobenen Händen zur Vorsicht auf - doch auch das energische Eingreifen des Wortführers konnte im Regenchaos nicht alle üblen Unfälle der ersten Tour-Etappe verhindern.

Hässliche Crashs und böse Verletzungen auch deutscher Fahrer überschatteten den Auftakt der Frankreich-Rundfahrt - der Radsport-Weltverband UCI stand wieder heftig in der Kritik.

"Die Straßen waren unglaublich glatt, es war sehr viel Öl auf dem Asphalt", sagte Martin im Ziel von Nizza: "Im Prinzip hatten wir keine Chance, ein relativ sicheres und verantwortungsvolles Rennen zu fahren." Ein Schuh, den sich auch der Weltverband UCI und die Tour-Organisatoren anziehen mussten.

Schachmann: Unverantwortlich

Das Ergebnis: Dutzende Stürze im Etappenverlauf, ein Massencrash auf der Zielgeraden, Hochbetrieb im Röntgenwagen, drei Fahrer, darunter der deutsche Klassikerstar John Degenkolb, verletzt draußen - und alles vermeidbar: Genau die Negativschlagzeilen, die diese merkwürdige Tour im Corona-Jahr nicht braucht.

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"Es ist unverantwortlich, dass wir da reingeschickt werden", schimpfte Bora-Profi Maximilian Schachmann Richtung Organisatoren.

Martins Teamkollege Robert Gesink berichtete, dass das Feld während der Etappe bei den UCI-Kommissären vergeblich Gesprächsbedarf zwecks Neutralisierung angemeldet hatte. "Offenbar war denen das alles noch nicht spektakulär und gefährlich genug", sagte der Niederländer.

Martin als Wortführer - Astana bezahlt Tempo

Strömender Regen hatte die steilen Abfahrten zu ölig-seifigen Rutschbahnen werden lassen. Der so erfahrene Ex-Weltmeister Martin, als "Road Captain" seines Jumbo-Visma-Teams meist an der Pelotonspitze zu finden, erkannte die Gefahr früh, bremste das Feld mit Worten und Gesten ein.

"Ich habe gemerkt, dass alle neutralisieren würden, aber keiner macht den ersten Schritt. Dann habe ich eben die Initiative ergriffen", sagte Martin: "Damit waren alle einverstanden, nur Astana nicht." Die kasachische Mannschaft drückte weiter aufs Gas, bis ihr Kapitän Miguel Angel Lopez in einer Kurve gegen ein Straßenschild schlitterte, mit Können und viel Glück aber unverletzt blieb. "Die haben die Rechnung bezahlt", meinte Martin.

Tour: Degenkolb und Gilbert raus

Der 35-Jährige erntete Respekt. "Dieser Schritt war stark von ihm", sagte Bora-Profi Maximilian Schachmann. Martin gab das Lob zurück: "Ich bin stolz, dass wir im Feld zusammengehalten haben. Das ist ein wichtiges Zeichen in Richtung Sicherheit", sagte er mit Blick auf die schweren Stürze von Fabio Jakobsen und Remco Evenepoel im August: "Es ist vielleicht das Resultat daraus, dass die Fahrer mehr sensibilisiert sind. Wir hätten sonst noch mehr Stürze gesehen, vielleicht mit noch schlimmeren Ausgängen."

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Schlimm genug war es auch so: Degenkolb blieb unter großen Schmerzen außerhalb des Zeitlimits, Teamkollege Philippe Gilbert und der Spanier Rafael Valls schieden mit Brüchen aus der Tour aus, es erwischte André Greipel, Thibaut Pinot, Caleb Ewan und viele andere - die Etappe schlug eine Schneise der Verwüstung durch die Radsport-Prominenz.

Die letzte Abfahrt von der Cote de Rimiez fuhr das Feld dank Martin freiwillig in sicherem Tempo herab. Auf die Idee, danach den angefassten Profis den finalen Massensprint auf pitschnassem Asphalt zu ersparen, kam die UCI nicht - dort krachte es noch einmal richtig.