Verbrechen ungelöst: Wenn der Zufall den Ermittlern auf die Sprünge hilft

Bei einem Vermisstenfall ist das Ermittlungsgeschick der Polizei gefragt. Von Erfolg ist ihre Arbeit nicht immer geprägt. Zum Glück spielt den Ermittlern manchmal der Zufall in die Karten.

Symbolbild: Getty Images
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An einem Julitag 2019 ahnt ein Pilzsammler in einem Waldstück bei Lauf an der Pegnitz nichts Böses, bevor er auf die Leiche eines jungen Mannes stößt. Wenige Stunden später verhaften die Ermittler einen Tatverdächtigen, dann auch dessen Geliebte. Damit vereiteln sie ein weiteres Verbrechen. Denn nach dem Opfer, dem 27-jährigen Geliebten der Frau, sollte auch deren Ehemann sterben. Auch ihn wollte der Angeschuldigte im Auftrag der Frau töten, damit er ihrer Beziehung "nicht mehr im Weg stünde", wie die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth berichtet.

Am 8. September begann in Nürnberg der Prozess gegen die beiden 32-Jährigen. Es ist nicht der erste Kriminalfall dieser Art. Denn was nach einer wenig originellen Szene aus einem Film oder Roman klingt, kommt sehr wohl und immer wieder auch in der Wirklichkeit vor: Spaziergänger, Jogger, Pilzsammler stoßen zufällig auf eine Leiche oder Zuschauer einer Krimi-Sendung wie "Aktenzeichen XY … ungelöst" erkennen in einem Beitrag ein Detail und führen mit ihrem Fund oder ihren Informationen die Ermittler auf die Spur des Täters oder gar zur Lösung des Falls.

Maria Baumer – Vergiftet und vergraben?

So wie im Fall von Maria Baumer. Der Leichnam der jungen Frau wird im September 2013 von Pilzsammlern in einem Waldstück im Landkreis Regensburg entdeckt. Vier Tage später verhaftet die Polizei ihren Verlobten. Nach zwei Monaten Untersuchungshaft kommt der 28-Jährige wieder frei – weil kein dringender Tatverdacht mehr besteht. Im Dezember 2019, rund zweieinhalb Jahre nach seiner Verurteilung wegen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, wird er wieder festgenommen. Im Juli 2020 beginnt gegen ihn der Mordprozess. Die Anklage wirft dem ehemaligen Krankenpfleger, im Mai 2012 seine 26-jährige Verlobte mit Medikamenten getötet und die Leiche beseitigt zu haben. Der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe. Baumer habe die tödliche Dosis auf eigene Initiative geschluckt. Die Leiche habe er begraben, um mit dem Tod nicht in Verbindung gebracht zu haben.

Mordfall Johanna Bohnacker

Johanna Bohnacker aus dem hessischen Ranstadt-Bobenhausen ist acht Jahre alt, als am 2. September 1999 entführt wird. Am 1. April 2000 finden Spaziergänger den skelettierten Leichnam des Mädchens 90 Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt in einem Waldstück bei Alsfeld (Hessen). Mehr als 17 Jahre später wird ein Tatverdächtiger festgenommen. Im Februar 2018 wird der Mann, der zur Tatzeit 23 Jahre ist, wegen Mordes, sexueller Nötigung und des Besitzes von Kinderpornos angeklagt. Die Verteidigung plädiert auf Totschlag. Die Richter stellen eine besondere Schwere der Schuld fest und verurteilten den Angeklagten zu lebenslanger Haft.

Wer tötete Ramona Kraus?

Die zehn Jahre alte Ramona Kraus befindet sich am 15. August 1996 in Jena-Winzerla auf dem Heimweg von der Schule, als sie spurlos verschwindet. Fünf Monate später wird der Leichnam des Mädchens rund 130 Kilometer entfernt in einem Waldstück nahe der thüringischen Stadt Treffurt gefunden. Als Verdächtiger gilt ein 76-jähriger Rentner, der schon in den 1990er Jahren mit der Tat in Verbindung gebracht wird. 1999 wird er wegen sexuellen Missbrauchs anderer Kinder zu einer langjährigen Gefängnisstrafe und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. 2016 kommt er zur Bewährung frei. Zwei Jahre später stellen verdeckte Ermittler ihm eine Falle, in die er tappt. Ende Januar 2019 wird er festgenommen. Die in dem Täuschungsmanöver gesammelten Beweise reichen für eine Anklage jedoch nicht aus. Im August 2019 wird der Mann aus der Untersuchungshaft entlassen.

Symbolbild: Getty Images
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Der seltsame Fall der entführten Monica

Nicht nur Pilzsammler, Spaziergänger und Jogger helfen der Polizei zufällig, einen Kriminalfall zu lösen. Auch Fernsehzuschauer können die Ermittler auf die richtige Fährte bringen, wie der Fall der entführten Monica zeigt. Es ist das Jahr 1990. Ein Mann schaut sich im Fernsehen die Krimisendung "America’s Most Wanted" an. In einem Beitrag über ein entführtes Mädchen glaubt er, das Opfer zu kennen. Er geht mit seinem Verdacht zur Polizei, und es stellt sich heraus: Das Kind aus dem Fernsehen hat nichts mit Personenbeschreibung des Mannes zu tun. Dafür stellen die Beamten fest, dass das Mädchen, von dem der Zeuge spricht, dem Opfer in einem anderen ungelösten Fall ähnelt. Sie nehmen die Spur auf und lösen bald den Fall. Die kleine Monica Judith Bonilla war im Alter von fünf Jahren von ihrem eigenen Vater entführt worden. Acht Jahre später trifft sie nicht nur ihre Mama wieder, von der sie geglaubt hatte, dass sie tot sei. Sie hat auch einen sechs Jahre alten Bruder, den die Mutter mit ihrem neuen Mann gezeugt hat.

Der Feind in der Küche

Dass in Monicas Fall der Zufall im Spiel war, will die Mutter jedoch nicht glauben. Sie ist überzeugt: Das war gottgewollt. Ob der Zufall, das Schicksal oder Gott den nächsten Kriminalfall zu lösen half, soll an dieser Stelle eine Streitfrage bleiben. Klar ist: Wieder spielt das Fernsehen dabei eine wichtige Rolle, erneut handelt es sich um "America’s Most Wanted". Dort geht es 1993 in einer Sendung um den Mord an einem Koch. Ein Mann hatte ihn bei einem Raubüberfall erschossen. Unter den Zuschauern gehören auch die Mitarbeiter des Toten. Noch fällt ihnen nichts Merkwürdiges auf. Als allerdings der nächste Beitrag läuft, werden einige stutzig. Es geht um einen gesuchten Sexualstraftäter, der sich an einem zehn Jahre alten Jungen vergangen hatte. Das Besondere: Der Tatverdächtige sieht aus wie der neue Koch des Cafés. Die Mitarbeiter alarmieren die Polizei, wenig später wird der Sexualstraftäter verhaftet. Fall gelöst. Durch Zufall, mit Hilfe des Schicksals oder wollte Gott es so? Ein mit dem Fall betrauter Polizist hat eine andere Erklärung: "Die Ironie", sagt er, "ist hier wirklich tiefgründig."

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