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Wie die Kult-Liga ECW das Wrestling revolutionierte

Der Schauplatz: eine ehemalige Bingohalle in Philadelphia.

Das Geschehnis: eine Aufsehen erregende Verschwörung auf Kosten einer einst ehrwürdigen nationalen Wrestling-Organisation. Die Folge: eine Revolution.

Am 27. August 1994 formierte sich Extreme Championship Wrestling, eine Promotion, die die Wrestling-Landschaft neu ordnete und letztlich auch den Marktführer WWE in ihren Grundfesten erschütterte. ECW war eine bei eingefleischten Wrestling-Fans abgöttisch verehrte Liga. Zahlreiche Kultstars wie Rob Van Dam, The Sandman, Taz, Sabu, Raven, Tommy Dreamer und die Dudley Boyz gingen aus ihr hervor - und auch viele anderen Legenden wie Stone Cold Steve Austin, Mick Foley, Rey Mysterio und Eddie Guerrero bekamen dort einen nicht unwesentlichen Karriere-Schub verpasst.

Am Anfang dieser Umwälzung stand ein viel diskutierter Knalleffekt, mit dem sich ECW überregionale Aufmerksamkeit verschaffte. In dessen Mittelpunkt stand das erste Aushängeschild der Liga: "The Franchise" Shane Douglas.

Paul Heyman legte legendäre Organisation aufs Kreuz

An sich gab es ECW schon vor 1994, als "Eastern Championship Wrestling" ging sie 1992 aus der regionalen Tri-State Wrestling Alliance hervor. Ihr Besitzer war der Geschäftsmann Tod Gordon (im Hauptberuf Pfandleiher), ihr kreativer Kopf seit 1993 Paul Heyman, zuvor bei WCW (World Championship Wrestling) als Manager Paul E. Dangerously aktiv.

ECW war zwischenzeitlich Teil der NWA (National Wrestling Alliance), einer überregionalen Wrestling-Dachorganisation, bei der einst auch WWE und WCW Mitglied waren - bevor sie sich lossagten und ihre eigenen nationalen Ambitionen verfolgten.

Heyman und Gordon hatten dasselbe im Sinn. Sie schmiedeten einen Plan, die als Relikt vergangener Tage verschriene NWA aufs Kreuz zu legen und sich als neue, aufregende Alternative zu inszenieren. Und sie vollzogen ihn in aller Öffentlichkeit.

"The Franchise" Shane Douglas vollzieht den Betrug

NWA und ECW hatten am 27. August 1994 eigentlich eine gemeinsame Show veranstaltet (schon damals vertont von Kult-Kommentator Joey Styles), im Zentrum stand die Krönung eines neuen NWA World Champions durch ein Acht-Mann-Turnier.

Unter den Teilnehmern: ECW-Urgestein Taz (damals noch: The Tazmaniac), die späteren WCW- und WWE-Stars Chris Benoit und Dean Malenko und eben Douglas, der das Turnier wie geplant gewann - dem Abend dann aber eine unerwartete Wendung gab.

Nach seinem Finalsieg über 2 Cold Scorpio bekam der charismatische Douglas den NWA-Gürtel überreicht, erinnerte in einer Ansprache an die Legenden, die ihn vor ihm trugen - Lou Thesz, Harley Race, Dusty Rhodes, Terry Funk, Kerry von Erich, Ricky Steamboat, Ric Flair - und hielt fest: "They can all kiss … my … ass!"

Vor den Augen des entsetzten NWA-Präsidenten Dennis Coralluzzo warf Douglas den einst ruhmreichen Titel zu Boden wie ein Stück Abfall. Er führte aus: Die NWA sei seit Jahren tot, er wolle kein Champion einer toten Organisation sein, sondern Pionier einer neuen ECW.

Dennis Coralluzzo als tragische Figur

Douglas vollendete damit den "Double Cross", den öffentlichen Betrug an der NWA. Heyman und Gordon hatten ihn in ihre Pläne eingeweiht und die Entscheidung, zum Mitverschwörer zu werden, fiel ihm leicht: Coralluzzo hatte Douglas - dem zuvor bei WWF und WCW der endgültige Durchbruch verwehrt geblieben war - als Champion eigentlich abgelehnt. Er stimmte seiner Kür nur zu, weil ihm in Aussicht gestellt wurde, dass er bald von seinem Favoriten Benoit abgelöst werden würde.

Coralluzzo lag nicht nur deswegen im Clinch mit Gordon und Heyman, er lehnte ihr Produkt eigentlich generell ab und ließ sich überhaupt nur auf die Kooperation ein, weil ECW der damals reichweitenstärkste NWA-Ableger war. Berichten zufolge soll er ECW vorher sogar bewusst hintertrieben haben, etwa indem er Behörden Hinweise auf Brandschutzmängel bei ihren Veranstaltungen gab.

Mit umso mehr Genuss legten Heyman und Gordon den 2001 an einem Gehirnschlag verstorbenen Coralluzzo aufs Kreuz. Auch nach der Show belogen sie ihn, indem sie behaupteten, dass Douglas' Aktion ein Drehbuch-Kniff war, der in einer ECW-NWA-Fehde münden sollte - was nie passierte.

"Wir wollten ein Zeichen setzen, aus dem Rudel ausbrechen, der Welt zeigen, dass wir nicht irgendeine Independent-Liga waren", begründete Heyman später. Genau das ist ihm in den Jahren darauf bestens gelungen.

ECW nahm die Attitude Era vorweg

ECW lieferte ihrer vergleichsweise kleinen, aber eingefleischten Fanschar ein zeitgemäßes und erwachsenes Produkt, das die Grenzen und Tabus der Branche weit verschob. In Erinnerung blieben vor allem die gewaltintensiven "Hardcore Matches" (in ECW-Kämpfen war prinzipiell alles erlaubt) und auch die provokativ-anzügliche Inszenierung weiblicher Stars wie Francine und Beulah McGillycutty.

Die eigentliche Essenz von ECW aber war Heymans Gespür für Trends und Talente, aus unzähligen vorher unbekannten oder verkannten Performern schuf er denkwürdige Charaktere: den kettenrauchenden Sandman mit seinem einmaligen Metallica-Einmarsch. Die lässig-spektakuläre Kampfsportmaschine RVD. Den mystischen Teufelskerl Sabu alias "The Homicical, Genocidal, Death-Defying Maniac". Die "Human Suplex Machine" Taz, die das Erfolgsrezept von Brock Lesnar vorwegnahm. Den sich an Kurt Cobain anlehnenden Grunge-Guru Raven, sein sektenartiges "Raven's Nest" und seinen kongenialen Gegenspieler Tommy Dreamer. Und unzählige andere.

Auch viele Stars, die nur kurz bei ECW waren, profitierten von der Nischenpräsenz und kreativen Spielfläche, die ECW ihnen bot: Bevor etwa Steve Austin zum WWE-Giganten wurde, deutete er mit einigen bissigen Auftritten in Philly (noch mit Haaren) - darunter eine parodistische Abrechnung mit Hulk Hogan - sein Superstar-Potenzial an.

Auch WWE wurde durch den Erfolg von ECW nachhaltig verändert. Die Liga von Vince McMahon (die zwischenzeitlich eine Kooperationsvereinbarung mit ECW hatte) musste erkennen, dass die Rebellenliga aus Philadelphia näher am Puls der Zeit war - "EC-Dub! EC-Dub!" war in den Neunzigern ein beliebter Fanruf, wenn WWF-Zuschauer von den dort gebotenen Kämpfen gelangweilt waren. McMahons kontroverse und erfolgreiche Neuausrichtung seiner Liga in der Attitude Era war in weiten Teilen von ECW inspiriert.

Verwässerte Neuauflage nach "One Night Stand" bei WWE

Während die WWF erntete, was Heyman gesät hatte, endeten für ECW die goldenen Zeiten: Am 4. April 2001 musste die Liga den Betrieb einstellen, finanzielle Schwierigkeiten waren Heyman über den Kopf gewachsen. Gordon hatte sich schon 1997 aus dem Geschäft zurückgezogen.

Heyman schloss sich WWE an, ebenso wie viele seiner früheren Stars, die Teil der unter ihren Möglichkeiten gebliebenen "Invasion" waren, der in eine Fehde gegossenen Ankunft der Ex-Wrestler von ECW und WCW, ebenfalls 2001 von WWE geschluckt.

Auch die Videorechte an den alten ECW-Shows sind an den Marktführer übergangen (alle wichtigen Shows von einst sind auf dem Streaming-Portal WWE Network verfügbar). Nach dem erfolgreichen Nostalgie-Event ECW One Night Stand 2005 gab es unter dem WWE-Banner sogar ein Revival von ECW - das von WWE aber viel zu stark verwässert wurde, um die alten Fans der Liga dauerhaft zu begeistern. 2010 war auch diese ECW (in der unter anderem CM Punk sein WWE-Debüt feierte) Geschichte.

Der Kult um ECW wirkt dennoch weiter nach, bis heute touren Altstars wie Sandman und Sabu, Raven und Dreamer mit ihren Charakteren von damals durch die Independent-Ligen (wobei auch viele ECW-Stars wie Axl Rotten, Balls Mahoney, Mike Awesome, Chris Candido, Louie Spicolli oder beide Mitglieder von The Public Enemy früh verstorben sind).

Auch Shane Douglas ist noch immer aktiv, wobei er nie Teil der von WWE inszenierten ECW-Revivals war: Douglas war zwar schon 1995 zwischenzeitlich zur damaligen WWF gewechselt und trat dort als böser Lehrer-Charakter Dean Douglas auf. Er zerstritt sich dort allerdings nachhaltig mit Boss McMahon und machte nie wieder mit ihm Geschäfte.