Darum ist Vettel besser als sein Ruf

Michael Schumacher, Lewis Hamilton und Juan Manuel Fangio.

Das sind die Namen der drei Fahrer, die mehr WM-Titel in der Formel 1 geholt haben als Sebastian Vettel.

Direkt dahinter folgt bereits der Deutsche. Angesichts der realistischen Möglichkeit, dass Vettel eventuell vor seiner letzten Saison steht, stellt sich die Frage, wie wohl sein Vermächtnis aussehen wird.

Zählt der Ferrari-Pilot zu den absoluten Legenden des Sports - oder ist er doch nur einer von 33 Weltmeistern, die zwar alle Großes geleistet und erreicht haben, bei allen Nicht-Hardcore-Fans der Königsklasse aber auch schnell wieder in Vergessenheit geraten.

Vorwurf: Vettel gewinnt nur mit Raketen-Auto

Kritiker werfen Vettel vor allem in jüngerer Vergangenheit gerne vor, dass er nur so oft Weltmeister wurde, da der Red Bull damals so ein wahnsinnig überlegenes Auto war. Dafür spricht, dass Vettel jeweils die Flucht ergriff, als mit Daniel Ricciardo (bei Red Bull) und Charles Leclerc (bei Ferrari) Teamkollegen kamen, die ihm auf die Füße traten.

Für den ehemaligen Formel-1-Rennfahrer Marc Surer tut man Vettel damit aber trotzdem Unrecht. "So haushoch überlegen war der Red Bull nicht jedes Jahr. Grundsätzlich ist es vergleichbar mit Hamilton und Mercedes, dass er eben im besten Auto saß. Aber er musste jeweils gegen einen starken Teamkollegen kämpfen", sagte der F1-Experte im Gespräch mit SPORT1.

Für Surer waren Vettels Titel daher "schon verdient und nicht nur mit links."

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Nur Hamilton siegt einmal mit zweitbestem Wagen

Tatsächlich kann Vettel kein Strick daraus gedreht werden, dass er nur mit dem besten Auto Weltmeister wurde. Sieht man sich die letzten 20 Jahre der Formel 1 an, kann wohl allenfalls 2008 behauptet werden, dass ein Fahrer Weltmeister wurde, der nicht den schnellsten Wagen des Feldes hatte.

Damals gewann Hamilton seinen ersten WM-Titel mit dem McLaren-Mercedes mit einem hauchdünnen Vorsprung, obwohl Ferrari für viele Experten über die Saison gesehen das stärkste Auto hatte.

In seinen Ferrari-Jahren hatte Vettel dagegen bisher lediglich 2018 eine echte Titelchance. Damals war Ferrari bis zur Sommerpause sogar schneller als Mercedes und der Deutsche leistete sich einige fatale Fehler, wie in Hockenheim. Doch noch mehr Fehler als Vettel machte sein Team mit Strategie-Entscheidungen.

Surer schreibt den 32-Jährigen deshalb auf keinen Fall ab und zählt ihn weiterhin zu den besten Fahrern der Szene: "Es gibt diese Überflieger. Aktuell ist es sicher Hamilton, dann noch Leclerc und Verstappen. Aber auch Vettel gehört nach wie vor zu dieser Kategorie Überflieger."

Schumacher-Fußstapfen bei Ferrari zu groß

Was Vettel bei Ferrari im Gegensatz zu Schumacher nicht gelang: Ein reibungslos agierendes Team hinter sich aufzubauen, in dem ein Rädchen ins andere greift. Immer wieder wurden bei hochrangigen Mitarbeitern - oft auch nötige - Wechsel vorgenommen.

Ein eingespieltes Team wie zu Schumacher-Zeiten hatte Vettel daher nie zur Verfügung. Dass er durchaus ein Team mit aufbauen kann, hat er aber in der Vergangenheit bei Toro Rosso und Red Bull gezeigt. Mit dem zuvor mäßig schnellen Toro Rosso gewann er ein Rennen, Red Bull machte er sogar zum Weltmeister-Team.

So wird bei aller Überlegenheit von Red Bull schnell vergessen, dass das Team im Jahr vor der Vettel-Verpflichtung lediglich auf Rang 7 der Konstrukteurs-Wertung lag – sogar noch hinter dem Tochter-Team Toro Rosso, für welches Vettel fuhr.

Als Vettel kam, stellte sich bei Red Bull der Erfolg ein und für Toro Rosso ging es bergab. Während Red Bull 2008 mit Vettel direkt Vize-Weltmeister wurde, belegte Toro Rosso den letzten Platz mit mickrigen acht Punkten. Das macht deutlich, dass der Erfolg beider Teams vor allem Vettel zu verdanken war.

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Vettel führt Red Bull zum Erfolg

Mit seinem Können und seiner Arbeitseinstellung brachte Vettel Erfolg in seine Teams. Und auch wenn ihm das damals als arrogant ausgelegt wurde, hatte seine Aussage über die Red-Bull-Dominanz sicherlich einen wahren Kern: "Wenn andere am Freitag die Eier in den Pool hängen lassen, arbeiten wir immer noch hart."

Adrian Newey, Vettels langjähriger Wegbegleiter und zweifelsohne ebenfalls wichtiger Baustein für den Erfolg bei Red Bull, brachte Vettels Fähigkeiten bereits vor zwei Jahren wohl am besten auf den Punkt.

"Er arbeitet unglaublich hart, manchmal schon zu verbissen. Kaum jemand ist selbstkritischer als er. Wenn er eine Schwäche hat, dann dass er manchmal dumme Fehler macht, die in der Hitze des Gefechts passieren. Wenn er führt, ist er nahezu unschlagbar. Aber in direkten Duellen passieren ihm manchmal Ausrutscher", sagte Newey.

Das ist die größte Schwäche von Vettel

Newey brachte Vettels Stärken, aber auch seine größte Schwäche auf den Punkt. Die Neigung dazu, in der Hitze des Gefechts zu stark zu reagieren und einen Ausfall zu riskieren. In jungen Jahren haben viele Piloten diese Schwäche, auch Hamilton. Doch der Brite arbeitete hart an sich und merzte sie anders als Vettel aus.

Senna und Schumacher hatten dieses Problem zwar auch, aber nicht in der Häufigkeit wie Vettel in den vergangenen beiden Jahren. Während Senna mit seinem unfassbaren fahrerischen Genie zudem allen in Erinnerung bleibt, gilt Schumacher als der Regengott, der aus Ferrari wieder ein Siegerteam machte.

Hinzu kommen Hamilton, der mit seiner unglaublichen Stärke im Qualifying der unumstrittene Pole-König ist, und Fangio, der als großes Motorsport-Genie das Kunststück schaffte, mit vier verschiedenen Marken Weltmeister zu werden.

Surer: Vettel hinter Schumacher, Senna und Co.

Vettels Vermächtnis kann im Vergleich zu diesen Legenden nicht mithalten - oder wem fällt sofort ein Begriff ein, für den Vettel wie kein Zweiter in der Formel 1 steht?

Dennoch ist Surer überzeugt: "Er ist zwar eine Kategorie hinter Schumacher, Hamilton, Senna, Fangio - aber direkt dahinter. Diese Fahrer, zu denen auch Vettel zählt, haben alle etwas, was andere nicht haben."

Und: Noch ist Vettels Geschichte in der Formel 1 nicht zu Ende erzählt. Sofern die Saison im Juli tatsächlich in Spielberg beginnt, kann Vettel in diesem Jahr noch einmal allen Kritikern beweisen, was er drauf hat.

Und wer weiß, womöglich kann er dann ab 2021 doch noch bei Mercedes im direkten Duell mit Hamilton zeigen, warum beim Thema Formel 1 sein Name nicht nur bei der Anzahl der Titel früh fallen sollte.