Wall Street: Trumps Corona-Erkrankung lässt die US-Börsen kalt

Es sind die wohl dramatischsten Tage der Trump-Ära. Der US-Präsident lag mit Corona im Walter-Reed-Krankenhaus, doch die Wall Street reagierte mit einem Achselzucken. Angesichts Trumps schlechter Umfragewerte haben die US-Börsen offenbar längst begonnen, eine Biden-Präsidentschaft einzupreisen.

Passant mit Atemschutzmaske an der Wall Street: Wann kehrt die Normalität zurück? (AP Photo/Kevin Hagen)
Passant mit Atemschutzmaske an der Wall Street: Wann kehrt die Normalität zurück? (AP Photo/Kevin Hagen)

Innerhalb von nicht einmal einer Woche hat Donald Trump mutmaßlich die Chancen auf seine Wiederwahl eingebüßt. Erst schlug der US-Präsident im TV-Duell mit dem demokratischen Herausforderer Joe Biden einen so rüden Ton an, dass sich sein vermeintlich rhetorischer Vorteil in einen Nachteil verwandelte – Trump wirkte wieder einmal so gar nicht präsidiial und dürfte kaum bei unentschlossenen Wählern gepunktet haben.

Dann kam das Pech hinzu. Zwei Tage später wurde beim US-Präsidenten eine Corona-Infektion nachgewiesen, die das Potenzial besitzt, eine Staatskrise auszulösen. Klar wurde die Fragilität der Lage am Freitagnachmittag amerikanischer Zeit, als Marine One, der Helikopter des Weißen Hauses, den US-Präsidenten ins nahe gelegene Walter Reed Hospital brachte. Bange Stunden lagen vor der mächtigsten Nation der Welt: Wie ernst war die Corona-Erkrankung des amtierenden Staatschefs?

US-Börsen reagieren unemotional auf Trumps Krankenhausaufenthalt

Über das Wochenende entspann sich ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem PR-Stab der Trump-Administration und der US-Presse, in dem Donald Trump und die ihn behandelnde Ärzte immer neue Jubelmeldungen verbreiteten, während in der New York Times, Washington Post und CNN anonyme Quellen von einer weitaus dramatischeren Entwicklung der Corona-Erkrankung berichteten.

Unzufrieden über die Berichterstattung, verbreitete sich Trump aus dem Walter Reed-Krankenhaus in Videobotschaften und ließ sich schließlich am Sonntag in der Präsidentenlimousine vor seine Anhänger eskortieren. Während amerikanische Leitmedien den bizarren PR-Stunt verurteilten, reagierten die US-Börsen weitgehend unemotional auf die aufregendsten 72 Stunden der jüngeren US-Geschichte.

„Die Märkte haben Trump abgeschrieben und begonnen, Biden einzupreisen“

Am Freitag schloss die Wall Street nach Bekanntwerden von Trumps Corona-Infektionen moderat tiefer, während die US-Börsen die Verluste am Montag angesichts der Entlassung Trumps aus dem Krankenhaus wieder wettmachten – die Ausschläge fielen dabei kaum volatiler aus als an einem anderen Handelstag.

Der Grund dafür dürfte weniger an dem Auf und Ab des Gesundheitszustands des 74-jährigen US-Präsidenten liegen, als vielmehr an der immer größeren Wahrscheinlichkeit, dass Donald Trump in dreieinhalb Monaten nicht mehr im Oval Office sitzt.

„Die Dow-Futures notieren 100 Punkte höher. Ich weiß, es ist verlockend, das Plus mit Trumps Stunts in Verbindung zu bringen, aber der Dow lag auch am Freitagnachmittag höher (als Trump ins Krankenhaus geflogen wurde – Anmerkung der Redaktion). Den Märkten ist das egal. Sie haben Trump abgeschrieben und begonnen, Biden einzupreisen“, ordnet der finnische Tech-Unternehmer Tero Kuittinen die Entwicklung an den Aktienmärkten ein.

Biden liegt in Umfragen weit vorne

Tatsächlich gibt es dafür einen guten Grund. Der 77-jährige demokratische Präsidentschaftsbewerber, der in den Vorwahlen im Januar und Februar schon fast abgeschrieben wurde, liegt in den nationalen Umfragen so weit vorne, dass ein erneutes Comeback von Donald Trump höchst unwahrscheinlich erscheint – erst recht nach der letzten Woche.

Während die Nachrichtenagentur Reuters für Joe Biden einen Vorsprung von zehn Prozent ausweist, sieht eine NBC/WSJ-Umfrage Trump gar 14 Prozent in der Wählergunst hinten. Der renommierte Datenanalyst Nate Silver, der die Wahlanalyseplattform „Five Thirty Eight“ betreibt, hat aktuell eine 81-prozentige Siegchance für Joe Biden errechnet.

Anleger begrüßen die Perspektiven offenkundig – zumindest, weil sie Klarheit versprechen. Ob die Märkte die ökonomischen Folgen einer Biden-Administration allerdings im Detail eingepreist haben, dürfte frühestens in 28 Tagen beantwortet werden, wenn US-Wähler zur Urne schreiten…