„Das waren Szenen, die werde ich nie vergessen“

Fußballfans müssen nicht lange überlegen, um die drei berühmtesten Momente in der Karriere von Dietmar „Didi“ Hamann aufzuzählen.

Im April 1995 kostete seine Einwechslung in Frankfurt die Bayern einen 5:2-Sieg, denn er war der eine Amateur zu viel und das Spiel wurde annulliert und mit 0:2 gewertet. Im Oktober 2000 war sein Freistoßhammer im DFB-Trikot zum 1:0-Sieg über England das letzte Tor, das im alten Wembley-Stadion fiel, es wurde anschließend abgerissen. Daraus machte ein kreativer Schreiberling: „Didi schwang die Abrissbirne.“

Und dann war da noch der 25. Mai 2005: Auch dieser Tag reizte Autoren und Regisseure, ihn auf vielfältige Weise fortleben zu lassen. Über das Champions-League-Finale vor 18 Jahren gab es sogar einen Kinofilm und der Hamann-Darsteller bekam eine Hauptrolle darin, schließlich nahm das Original sie auch im Spiel ein.

„Didi war damals schon ein Opa“

Allerdings begann der größte Tag im Fußballerleben des Didi Hamann mit einer Enttäuschung. Er hatte eigentlich damit gerechnet, gegen den AC Mailand in der Startformation des FC Liverpool, für den er seit 1999 spielte, zu stehen. Doch Trainer Rafa Benitez entschied sich anders und erläuterte das später so: „Didi war damals schon ein Opa. Er hatte keine Puste mehr für eine ganze Saison.“ Hamann war fast 32 und seine Puste würde noch für vier Jahre in der Premier League reichen – aber der Erfolg gab Benitez recht.

Der bestand darin, in der Halbzeit eines scheinbar verlorenen Spiels die richtigen Worte zu finden und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Liverpool war gegen „die Weltauswahl“ (Hamann) von Milan unter die Räder gekommen, lag nach 53 Sekunden bereits zurück und zur Pause stand es 0:3. In der Geschichte der Champions League und des ihr vorgeschalteten Landesmeister-Pokals (1955-1993) hatte noch keine Mannschaft einen solchen Vorsprung im Finale verspielt – meist gab es ihn gar nicht. In Istanbul aber schien ein Klassenunterschied zu bestehen an jenem Tag zwischen dem italienischen Meister und dem Vierten der Premier League.

„Ich dachte, das Spiel ist verloren“

Es herrschte eine eigentümliche Stimmung im Atatürk-Olympiastadion, denn die Liverpool-Fans sangen unverdrossen ihre Lieder und das schönste war Ausdruck ihrer ungebrochenen Zuversicht: „You never walk alone!“ Trotzdem dachte Hamann beim Gang in die Kabine, dass sie heute eben alle zusammen untergehen würden: „Ich dachte, das Spiel ist verloren.“

Aber Benitez packte seine Reds bei der Ehre: „Wir sind Liverpool. Wir haben so viele Fans hier, wir werden hier nicht abgeschlachtet. Wenn uns ein schnelles Tor gelingt, können wir Druck machen.“

Dann stellte er sein System von 4-4-2 auf 3-5-2 um, beorderte einen Spieler, der schon unter der Dusche stand, zurück ins Team und Hamann aufs Feld. Sein Auftrag war es, den brasilianischen Spielmacher und Weltmeister Kaka auszuschalten. Benitez im Rückblick: „Für diesen einen großen Auftritt pro Jahr war Didi immer noch gut. Ich wusste, dass dieser Moment nun gekommen war. Und ich hatte recht. Didi hat dieses Spiel mitentschieden, nicht nur, weil er später den ersten Elfmeter verwandelte. Wie er die Bälle eroberte und verteilte! Oh Didi, ich denke so gern an ihn zurück.“

Hamann hatte angesichts der Fangesänge beim Warmlaufen auch wieder Mut geschöpft und durfte sich bestätigt sehen, während Millionen von Fußballfans an den Bildschirmen aus dem Staunen nicht mehr herauskamen. Binnen magischer sechs Minuten (54. – 60.) stellte Liverpool den Gleichstand her, das 3:3 glückte dem aktuellen Leverkusen-Trainer Xabi Alonso im Elfmeternachschuss.

Elfmeter mussten noch viele geschossen werden, nach 120 Minuten hatte sich am Spielstand nichts geändert – auch weil Andrij Schewtschenko drei Minuten vor Abpfiff eine Riesenchance ausließ. „Da wusste ich, dass wir das Elfmeterschießen gewinnen würden“, sagte Hamann.

Benitez kam auf ihn zu, fragte ihn, ob er schießen wolle und als der nickte, erhielt er zwei Minuten später die Order: „Du schießt den ersten!“

„Das waren Szenen, die werde ich nie vergessen“

Weil Milan begann und Serginho sofort verschoss, war Hamann gleich etwas lockerer. „Das hat es für mich etwas einfacher gemacht“, gestand er im SPORT1-Interview, ebenso wie seine Zweifel, als er sich dem 1,95-Hünen Dida gegenüber sah.

„Ich fragte mich: Wo soll denn da der Ball noch reinpassen?“ Aber er passte, weil er gut geschossen war. Hart und flach in die linke Ecke. Diese Führung gab Liverpool nicht mehr aus der Hand, obwohl John Arne Riise verschoss. Aber da gleich drei Milan-Stars an Jerzy Dudek oder ihren Nerven scheiterten – zuletzt Schewtschenko – holte sich Liverpool nach 21 Jahren wieder den Henkelpott.

Die Heimat bereitete ihren Siegern einen triumphalen Empfang und der Big Moment des Didi Hamann ging in die Verlängerung: „So viele glückliche Leute zu sehen: Das waren Szenen, die werde ich nie vergessen.“