Als Werder gegen Hannover 96 ein Europapokalspiel war

Als Werder gegen Hannover 96 ein Europapokalspiel war

Nach 40 Jahren treffen sich Werder Bremen und Hannover 96 wieder mal auf der Bühne der 2. Bundesliga, die die Hanseaten nur eine Spielzeit lang (1980/81) betreten hatten. Werder blieb damals ungeschlagen, 96 wartet noch aufs erste Zweitligator (3:0/0:0) gegen die Bremer. (2. Bundesliga: Werder Bremen - Hannover 96 am Samstag ab 19.30 Uhr LIVE im TV auf SPORT1)

Werder Bremen - Hannover 96 einst im Europapokal

Es ist also eine ausgesprochen seltene Konstellation, die sich da am Samstagabend ergibt (2. Bundesliga: Werder Bremen - Hannover 96 ab 20.30 Uhr im LIVETICKER). Kaum zu glauben: im Europapokal trafen sie sich genauso oft!

1992 gab es zwei Spiele im 1998 abgeschafften Europacup der Pokalsieger, formal markieren sie den Höhepunkt in der Geschichte dieser Paarung. Aber eigentlich hätten sie, im Nachhinein betrachtet, lieber nicht gegeneinander gespielt. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)

Im Sommer 1992 schwelgten die Fans beider Lager im Hochgefühl. Werder hatte erstmals in seiner Geschichte einen Europapokal gewonnen – den der Pokalsieger – Hannover als erster Zweitligist überhaupt den DFB-Pokal. Weshalb beide im selben Wettbewerb in die Saison 1992/93 starten duften, der Titelverteidiger war automatisch dabei. (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)

Auslosung beschert deutsches Duell im Europapokal

Zwei Deutsche im Lostopf mit 30 internationalen Vereinen – beide träumten von schönen Reisen, Abenteuern und machbaren Gegnern. Hannover war als blutiger Anfänger ohne Meriten als einziger deutscher Vertreter in allen Wettbewerben allerdings nicht gesetzt, musste mit einem Topklub rechnen.

Den bekamen sie, als am 15. Juli in Genf die Lose gezogen wurden. Der Zufall wollte es, dass nach 30 Kugeln nur noch die beiden Deutschen im Topf waren, sodass alle Wunschlose vorbei gerauscht waren: kein Liverpool, kein Atlético Madrid, kein Monaco und kein Rotterdam – Hannover 96 musste nur ins benachbarte Bundesland, nach Bremen. Offiziell machten die Klubvertreter gute Miene zum bösen Los.

Werder-Manager Willi Lemke verkündete: „Das ist ein absoluter Kracher. Es gibt die Revanche für die Niederlage im Halbfinale des DFB-Pokals. Bei zwei ausverkauften Spielen wird richtig Geld verdient.“

96-Präsident Fritz Willig stimmte zu: „Das ist ein Superlos für Hannover 96. Beide Vereine sind sehr zufrieden. Wir sparen Reisekosten und haben keine organisatorischen Probleme. Unsere Fans können beide Spiele miterleben.“ 96 Geschäftsführer Ralf Rogge teilte Lemkes Optimismus ebenfalls: „Das Spiel im Niedersachsen-Stadion ist schon jetzt garantiert ausverkauft.“

Lemke ätzt gegen Hannover: „Antiwerbung für Europapokal“

Nun ja. Es vergingen zwei Monate, in denen beide Teams keine Bäume ausrissen. Werder war in der Bundesliga Sechster und spielte noch nicht den Fußball, der es am Saisonende zum Meister machen würde.

Und Hannover, das trotz des Pokalsiegs Trainer Michael Lorkowski gefeuert hatte, gurkte in der 2. Liga auf Platz 13 herum. Immerhin gewannen die Niedersachsen drei Tage vor dem Hinspiel am 15. September im Pokal 2:1 bei Bundesligist VfL Bochum und wahrten ihren Ruf als „Team für gewisse Stunden“. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)

Den Werder-Fans war das jedoch herzlich egal. Alle 14 Tage sahen sie Bundesligateams im Weser-Stadion, warum sollten sie da an einem Dienstagabend in Massen die Werder-Bude einrennen? Zumal das Spiel im aufkeimenden Privatfernsehen live kam?

„Das Spiel ist nicht die Zugnummer, die wir nach der Auslosung erwartet hatten“, gestand Lemke nun ein und meckerte: „Hannover hat in der zweiten Liga zu lange Antiwerbung für den Europapokal betrieben“. Oder um es mit einem Bremer Taxifahrer, der Reporter der Hannoverschen Allgemeinen ins Stadion fuhr, zu sagen: „Diese Niedersachsen-Fuzzies will hier doch keiner sehen.“ Fast keiner.

Hannover zahlt Lehrgeld

Am Tag vor dem Spiel waren erst 11.000 Tickets abgesetzt, letztlich wurden 17.003 Zuschauer gezählt – davon 4000 aus Hannover, die mit 20 Sonderbussen und im Sonderzug angekarrt worden waren.

Lehrgeld zahlte auch 96, dessen Führung auf internationalem Parkett keine Erfahrung hatte. Dass der gebürtige Pole Roman Wojcicki trotz deutschen Passes für die UEFA als Ausländer zählte, da er Länderspiele für Polen bestritten hatte, stand zwar im Infoblatt des DFB und „wurde zwar fein säuberlich abgeheftet, aber nicht gelesen“ (HAZ).

Trainer Eberhard Vogel hatte deshalb einen Ausländer zu viel im vorläufigen Aufgebot, erst kurz vor Anpfiff wurde der Fehler bemerkt und der Montenegriner Dejan Raickovic durch Reinhold Daschner vom heimischen Sofa abkommandiert. Spielen durfte er nicht, seine Stunde würde noch kommen.

Die Partie verlief unerwartet ausgeglichen, alle Tore zum 3:1-Heimsieg der Bremer fielen vor der Pause. Auf Wynton Rufers 1:0 antwortete Wojcicki per Elfmeter, erneut Rufer und Rune Bratseth bezwangen 96-Keeper Jörg Sievers. Zur Enttäuschung der Fans blieb es dabei, obwohl der Zweitligist noch 30 Minuten in Unterzahl spielte.

Kurioser Platzverweis

Michael Schönberg-Christensen weigerte sich, einen Freistoß auszuführen, solange Mitspieler Milos Djelmas am Boden lag. Nach der dritten Aufforderung wurde es dem englischen Schiedsrichter Elleray zu bunt und nach Gelb bekam der Däne nun Rot. Das erregte die Gäste sehr, 96-Präsident Willig hielt Elleray vor, er habe „menschenverachtend“ gehandelt. Eine grenzwertige Aussage, selbst Trainer Vogel fand, Schönberg hätte den Freistoß nach dem dritten Kommando ausführen müssen.

Unzweifelhaft daneben war das Verhalten von Hooligans beider Lager, die Polizei musste 46 Schläger verhaften, 37 davon aus Hannover. Auch sechs Hamburger waren darunter.

Die Zahlen auf der Anzeigetafel ließen ebenfalls Raum für Spekulationen. Für wen war es nun ein gutes Ergebnis?

Während Lemke auf der Pressekonferenz bekundete, Wojcickis Elfmeter werde ihm „14 Tage lang Albträume bereiten“, gab sich Trainer Otto Rehhagel selbstbewusst: „Wir können auch vor 120.000 bestehen“, sagte er angesprochen auf einen zu erwartenden Hexenkessel Niedersachsen-Stadion.

Nach Bombenanschlägen: Halbleere Arena im Rückspiel

Doch als der 30. September gekommen war, war auch diese Arena halbleer. 27.000 entrichteten ihren Obolus in Hannover. Wieder gab es Gründe. Nun übertrug RTL live, außerdem trieb ein Bombenleger im Großraum Hannover sein Unwesen. „Wir hätten noch 5000 Zuschauer mehr haben können, wenn nicht die Unruhe wegen der Bombenanschläge gewesen wäre“, sagte Schatzmeister Dieter Braun, der einen schönen Abend erlebte.

Hauptsächlich dank der TV-Einnahmen verdiente 96 mit diesen Spielen 2,8 Millionen DM und war auf einen Schlag entschuldet. Trotzdem hätte er gerne rund 400.000 DM an Prämien gezahlt, 30.000 pro Kopf setzte der Verein fürs Weiterkommen aus. Dazu fehlte mindestens ein Tor. Der Zweitligist konnte den Titelverteidiger tatsächlich bezwingen, doch das 2:1 war zu wenig.

Wieder fielen alle Tore vor der Pause, wieder machte Rufer (per Elfmeter) den Anfang. Doch binnen vier Minuten drehte der plötzlich in die Startelf gerückte Daschner die Partie, ab Spielminute 33 blickte Werder mit all seinen Topstars wie Andy Herzog, Marco Bode und Klaus Allofs in den Abgrund. Oliver Reck parierte noch zwei gefährliche Freistöße, dann hatten es die Bremer gepackt.

Werder in der nächsten Runde raus - Hannover steigt ab

Es war kein Ruhmesblatt – und auch nicht das erhoffte Geschäft, jedenfalls nicht für Werder Bremen. Zumal dessen Schatzmeister Prämien (6000 bis 8000 Mark) auszahlen musste. Es blieb die letzte in diesem Wettbewerb, schon in der nächsten Runde setzte es das Aus gegen Slavia Prag.

Und Hannover? Stieg 1996 in die 3. Liga ab und musste zehn Jahre auf ein Wiedersehen mit Werder warten – 2002 in der Bundesliga, in der es bisher 60 Duelle gab. Dorthin wollen beide wieder, am Samstag können sie den ersten Schritt machen.