WM-Favorit Spanien scheitert: Uninspiriert, langsam, unerträglich

Mit Spanien ist der nächste Favorit auf den WM-Titel kläglich gescheitert. Damit ist auch eine (einst) erfolgreiche Ära endgültig vorbei. Die Furia Roja hat so viel mehr drauf, stand sich aber mal wieder selbst im Weg.

2014 flog Spanien als Weltmeister in der Vorrunde raus, 2018 im Achtelfinale
2014 flog Spanien als Weltmeister in der Vorrunde raus, 2018 im Achtelfinale

Sergio Ramos schüttelte ungläubig den Kopf und wischte sich noch die Tränen aus den Augen. Aber der Field Reporter kannte keine Gnade. Er war live drauf und der Erste, der den Kapitän zur Schmach von Moskau befragen durfte bzw. musste. Wie das denn bloß passieren konnte, wollte der eifrige Mann wissen.

Nun kann Ramos zwar auf dem Platz ein echter Fiesling sein, doch er ist keiner, der Journalisten gleich den Kopf abbeißt, wenn sie dämliche Fragen stellen oder, wie in diesem Fall, zur Unzeit auftauchen.

Und so spulte Ramos sein Potpourri aus klassischen Phrasen runter. “Wir haben alles gegeben.” “Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Es war ein schwieriges Spiel.” “Ich bin sehr stolz, Kapitän dieser Mannschaft zu sein.” “Mal gewinnt man, mal verliert man. Das ist Fußball.” Und so weiter, und so weiter, und so weiter.

Rekordquote im Passspiel

Es war der Versuch des Kapitäns, die Blamage der Spanier irgendwie zu erklären. Aber jeglicher Versuch ist zwecklos. Es war bisweilen unerträglich mitansehen zu müssen, wie tempo- und ideenarm sich die Iberer die Bälle zuschoben, ohne auch nur einen Hauch Torgefahr zu erzeugen. 1114 Pässe spielten die Spanier, das hat es bei einer Weltmeisterschaft noch nie gegeben und diese Veranstaltung wird immerhin seit 88 Jahren ausgetragen.

Wie uninspiriert Spaniens Geschiebe gewesen sein muss, verdeutlich ein weiterer Blick in die Statistik: Spanien führte zur Pause 1:0, ohne einen einzigen Torschuss abgegeben zu haben. Ramos erzwang in der 11. Minute ein Eigentor von Ignashevich.

Vor dem Turnier galt der Weltmeister zum engsten Favoritenkreis auf den Titel. Völlig zurecht angesichts des Spielermaterials und angesichts der Leistungen in den letzten Monaten, egal ob Quali- oder Testspiele. Ende März schoss die Furia Roja Argentinien mit 6:1 aus dem Stadion.

Drei schwache Turniere in Folge

Testspiele sind selten ein Indikator für die wahre Stärke einer Mannschaft, aber es ist unerklärlich, wie wenig von dem, was Spanien zu leisten im Stande ist, bei der WM zu sehen war. Der Ad-hoc-Rauswurf von Trainer Julen Lopetegui am Tag vor dem Eröffnungsspiel war sicherlich nicht förderlich, aber das entschuldigt nicht das aberwitzig fantasielose Ballgeschiebe in den Spielen gegen Iran, Marokko und Russland.

Zwischen 2008 und 2012 war die spanische Nationalmannschaft das Maß aller Dinge im Weltfußball. Doch seitdem gelingt praktisch nichts mehr: Vorrunden-Aus bei der WM 2014, bei der EM 2016 und jetzt in Russland war im Achtelfinale Endstation.

Kein Plan B

Von England-Legende Gary Lineker stammt folgender Satz: Wenn alle Topnationen ihre beste Leistung abrufen, wird Spanien gewinnen. Keiner anderen Mannschaft wurde auch bei dieser WM zugetraut, ein perfektes Spiel aufzuziehen. Den Spaniern schon. Doch ihr Spielstil ist mittlerweile decodiert und ein Plan B exisitiert nicht. Seit Jahren nicht. Die Zeitung AS traf nach dem Aus gegen Russland mit ihrem Titel den Nagel auf den Kopf: “Verdammtes Tiki-taka.”

Was nütze der ganze Ballbesitz, das exzessive Passspiel, wenn so gut wie nichts dabei herausspringe, schrieben die spanischen Blätter. Marca hofft, “dass 2022 in Katar vielleicht jemand Isco hilft, die Weltmeisterschaft zu gewinnen.”

Spanien muss seinen Stil dringend überdenken. Mit Spielkontrolle und Ballbesitzdominanz kann man keine großen Turniere mehr gewinnen.

Mit Andres Iniesta verabschiedet sich der nächste Star aus der goldenen Generation von der Nationalmannschaft. Weitere wie Gerard Pique könnten folgen. Das peinliche Aus gegen allenfalls durchschnittliche Russen bedeutet das endgültige Ende einer Ära.