Werbung

WM- Kommentar: Vorm Anpfiff schon eingeknickt

Es war ja zu befürchten. Nicht mal für ein kleines Stück Stoff-Revolte reicht es. Die großen Fußballnationen knicken bereits vor der allmächtigen FIFA ein, bevor die WM überhaupt richtig angefangen hat.

Ein Kommentar von Moritz Piehler

Deutscher Nationalspieler mit
So hätte sie ausgesehen, die "One Love"-Kapitänsbinde. (Bild: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Es wurde heiß diskutiert, tragen sie sie, tragen sie sie nicht? Wie viel Regenbogen darf gerade noch sein? Die Kapitäne von England, den Niederlanden und anderen europäischen Nationalmannschaften hatten sich fest vorgenommen, ein Zeichen zu setzen. Auch DFB-Kapitän Manuel Neuer wäre bei der großen Geste dabei gewesen. Mit Betonung auf "wäre". Denn nun kommt es ja doch nicht zum Äußersten. Die eigens gestaltete "One Love" Kapitänsarmbinde wird von den Kapitänen aller Voraussicht nach nicht bei der WM getragen werden. Grund für das moralische Bankrotturteil? Ein kurzes Muskelzucken der FIFA. Die habe nämlich mit "Sanktionen" gedroht, sollte ein Spieler wagen, das Feld mit diesem mehr als allgemeingültigen, ergo recht harmlosen Symbol am Arm zu betreten. Und die Verbände purzeln um, wie die größten Schwalbenkönige und scheitern schon an dem Stückchen Stoff.

Scheinheilige Gesten

Der DFB und die anderen sechs Nationen, die sich zu der Geste durchgerungen hatten, traten sofort pflichtbewusst den geordneten Rückzug an. Die Fifa habe "sehr deutlich gemacht, dass sie sportliche Sanktionen verhängen wird, wenn unsere Kapitäne die Binden auf dem Spielfeld tragen" schrieb man in einem gemeinsamen Statement, dem das bedauernde Achselzucken förmlich anzuhören ist: Schade, schade, so gerne hätten wir protestiert, aber ihr seht ja selbst, liebe Fußballfans, es geht einfach nicht. Was soll man da noch machen, als größte und finanzstärkste Sportverbände der Welt?

Wie bequem. So kann man vor den eigenen, kritisch eingestellten Fans das Gesicht wahren und muss nichts dabei riskieren. Dabei wäre da das Symbol an sich erst dann spannend, wenn es auch mit Konsequenzen verbunden wäre. Eine Armbinde, ein Shirt, ein Banner zu zeigen, wenn es einen nichts kostet, ist recht und billig - und eben auch ziemlich scheinheilig. Sofort zurückzurudern, sobald Sanktionen drohen, sendet allerdings ebenfalls ein starkes Symbol. Nur leider ein durchweg falsches.

Es hätte ein echtes Kräftemessen werden können

Ganz ehrlich, hätte die FIFA es wirklich gewagt, England, Deutschland, die Niederlande, Wales, Belgien, Dänemark, und die Schweiz allesamt mit Punktabzügen oder gar einem Turnierausschluss zu bestrafen? Immerhin will sie am Ende auch ihr wertvollstes Produkt verkaufen und das lautet immer noch Fußball. Und selbst wenn es wirklich zu sportlichen Sanktionen gekommen wäre, wie stark wäre dann dieses Symbol gewesen? Mit der lauten Message: Unserer Werte sind uns mehr wert, als nur ein paar leere Worthülsen! Es wäre ein echtes Kräftemessen darüber gewesen, wem der Fußball gehört.

So aber wurde die FIFA nicht einmal in Verlegenheit gebracht. Die konnte stattdessen sogar ein schwammiges Alternativangebot vorlegen, mit - natürlich FIFA-vorgegebenen- "gesellschaftlichen Botschaften". Nur bitte nicht in Regenbogenfarben und gerne auch ohne ärgerliche Hinweise auf Menschenrechtsverstöße. Das macht immer so schlechte Laune beim Konsum der Sponsorenprodukte.

Diese Weltmeisterschaft mit all ihrer höchstberechtigten Kritik im Vorfeld und den großspurigen Ankündigungen von "Haltung zeigen" und "Einfluss vor Ort nehmen" hat noch nicht mal richtig begonnen und schon muss man dem Fußball und seinen Protagonisten in Sachen Menschenrechte eine Bankrotterklärung ausstellen. Es wäre tragisch, wenn es nicht inzwischen so bitter erwartbar wäre.

Wie es anders geht, zeigten übrigens die iranischen Spieler vor ihrem ersten Spiel gegen England. Sie schwiegen aus Protest gegen die gewaltsame Reaktion des Regimes auf Demonstrationen in ihrer Heimat bei der Nationalhymne. Für diese solidarische Haltung riskieren sie harte Konsequenzen. Und gerade das macht die Geste so stark und mutig.

Im Video: Bierhoff: "FIFA hat keine klare Haltung"