WM-Sündenbock? Neuer schießt gegen Medien

Manuel Neuer hat in einem Doppel-Interview mit der Süddeutschen Zeitung und The Athletic ordentlich gegen den FC Bayern ausgeteilt. Aber auch die WM in Katar und das bittere Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft wurde ausführlich besprochen.

„Wir hatten das Gefühl, dass wir zu Hause nur wenig Unterstützung hatten. Wenn ich das mit der Energie vergleiche, die wir 2010 erlebt haben … Dazu kam, dass die Erwartungen an uns sehr groß waren, was das politische Thema betraf“, erklärte Neuer.

Manuel Neuer: Wir hatten einen Klotz am Bein

Und fuhr fort: „Politische Dinge haben eine Gewichtung gehabt, die es so für uns als Sportler noch nie gab. Mit der Anreise hatten wir einen Klotz am Bein. Vielleicht hätten wir im Nachhinein etwas mehr Unterstützung gebraucht, damit wir uns auf unsere Aufgabe gegen Japan konzentrieren können.“

Zudem habe ihn „die Entscheidung der FIFA, die ‚One-Love‘-Binde zu verbieten“ überrascht. „Damit hatte keiner gerechnet. Im Endeffekt hätte uns sicher eine klarere Ansage geholfen. Das kann ich jetzt im Nachgang sagen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir Sportler, die vor dem ersten Gruppenspiel des größten Turniers überhaupt standen“, monierte der 117-fache deutsche Nationalspieler.

Nach der Niederlage gegen Japan im ersten Vorrundenspiel hatte er noch gesagt, das Timing des FIFA-Bescheids - diesen einen Tag vor dem Spiel zu veröffentlichen - sei für ihn als DFB-Kapitän „eine Katastrophe“ gewesen.

Damals „mussten wir überlegen, was machen wir jetzt. Wir hatten eine Standleitung zu den Verantwortlichen. Vor dem Turnier hatte es geheißen, die ‚One-Love‘-Binde sei nichts wert, wir würden uns dahinter verstecken“.

Neuer: „Egal welche Entscheidungen du triffst, du machst es falsch“

Nach dem offiziellen FIFA-Verbot allerdings „wurde sie auf einmal zum wichtigsten Symbol des Weltfußballs“, kritisierte Neuer und erklärte daraufhin offen und ehrlich den Gemütszustand von sich selbst, aber auch von seinen Team-Kollegen: „Du hattest das Gefühl, egal welche Entscheidungen du triffst, du machst es falsch. Wir standen stark unter Druck“, so Neuer.

Die daraufhin folgende „Mund-zu“-Geste bereut er aber bis heute nicht: „Wir sind mündige Spieler und stehen für unsere Werte, das haben wir immer so vertreten. Wir hatten das Gefühl, dass uns von der FIFA der Mund verboten wird. Wir wollten uns in einer einzigen Geste dazu äußern - und uns dann wirklich auf die Spiele konzentrieren.“

Für den 36-Jährigen war damit die Thematik „relativ schnell abgehakt“, zugleich aber doch eine Belastung gewesen: „Wir standen als deutsche Nationalelf medial plötzlich alleine im Fokus, da von uns eine Reaktion erwartet wurde. Man wollte keine falsche Entscheidung treffen.“

Gleichzeitig hob er hervor: „Unsere Geste war ja etwas anderes als die Binde, hinter der noch mehrere Nationen gestanden hatten. Außer uns hat niemand eine ähnliche Aktion gezeigt“, so Neuer.

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Während das Echo im Westen vorwiegend positiv angenommen wurde, traf in der arabischen Welt die Geste des DFB-Teams auf Ablehnung. Das konnte der Bayern-Torwart so aber nicht stehen lassen und erklärte: „Das Ganze galt der FIFA. Es war auf keinen Fall gegen die arabische Welt oder den Islam gerichtet. Wir haben muslimische Spieler in unseren Reihen, diese Vielfalt ist für uns selbstverständlich.“

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Dabei kam er auch auf seine Herkunft zu sprechen: „Ich komme aus Gelsenkirchen. Das ganze Ruhrgebiet war wirtschaftlich abhängig von Arbeitern aus Polen, der Türkei und Italien, nur dank ihnen hatten wir diesen Wohlstand. Ich bin dankbar dafür, dass ich so aufgewachsen bin“, betonte er.

Das vorzeitige und enttäuschende WM-Aus wollte der DFB-Star jedoch nicht an diesen hitzigen Debatten festmachen. „Wir sind gegen Japan ja super gestartet und hatten die erste Hälfte total im Griff. Auf dem Platz war dieses Thema nicht mehr in den Köpfen. Wir hatten das Gefühl, wenn es so weiterläuft, werden wir 2:0 oder 3:0 gewinnen.“

Dann aber drehten die Samurai im zweiten Durchgang auf, glichen erst zum 1:1 aus und feierten schließlich einen 2:1-Sensationssieg. Für Neuer waren die letzten 30 Minuten des WM-Auftaktspiels ausschlaggebend für das Scheitern.

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„An der zweiten Hälfte der zweiten Halbzeit des Japan-Spiels“ machte er das WM-Aus fest. „Die war unterirdisch. Das Spanien-Spiel war sehr gut, eines der besten der WM, haben viele gesagt“, so Neuer. Das „WM-Gruppen-Endspiel“ gegen Costa Rica sei „ordentlich“ gewesen. „Am Ende sind wir wegen des schlechteren Torverhältnisses ausgeschieden“, war Neuers WM-Fazit.

Neuer wittert Kampagne gegen sich

Dass er in den Medien für das WM-Aus als „Sündenbock“ hingestellt wurde, habe ihn „in gewisser Weise echt verletzt. Ich dachte: Wow! Wenn das der Grund gewesen sein soll, dann weiß ich, was los ist.“ Neuer war sich zwar nicht sicher, „ob es eine Kampagne war“, seiner Meinung nach „aber lief es in diese Richtung“.

Vielmehr sei die defensive Balance in der Nationalmannschaft problematisch gewesen. „Das ist ja nichts Neues. Uns fällt das Verteidigen als Gruppe schon länger recht schwer. Man hat es bei den Gegentoren im Turnier gesehen und schon beim Testspiel auf dem Weg nach Doha“, sagte Neuer abschließend.

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