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"Bei Real habe ich einen anderen Toni Kroos kennengelernt"

Von Stuttgart über Rom und London nach Madrid: Mit 29 ist Antonio Rüdiger endgültig im Fußball-Olymp angekommen – als Typ aber immer noch derselbe bodenständige und positiv verrückte Junge aus Berlin.

„Alles easy, Jungs“, sagt der Real-Star, als er sich aus seinem Haus in der spanischen Hauptstadt zur Zoom-Konferenz mit SPORT1 einwählt, „meine Familie ist gerade eh nicht hier, für euch nehme ich mir heute viel Zeit!“

Über eine Stunde steht Rüdiger am Ende Rede und Antwort – ganz locker und entspannt, mit dem einen oder anderen Witz in petto, trotz seines vollen Terminkalenders samt Reise zum DFB-Team. (NEWS: Alle aktuellen Infos zu La Liga)

Die Themen in Teil 1 des großen Exklusiv-Interviews: Sein neues Abenteuer in Spanien, seine Trikotsammlung, ein Wow-Moment mit Carlo Ancelotti und „der andere Toni Kroos“.

Rüdiger lacht über Trikot-Fauxpas

SPORT1: Antonio, Gratulation zum Sieg gegen Atlético – der neunte im neunten Pflichtspiel! Ihre ersten Monate in Madrid hätten nicht besser laufen können, oder?

Antonio Rüdiger: Vielen Dank, dem stimme ich zu. Die Ergebnisse passen, wir haben als Mannschaft sehr viel Spaß und ich habe mich super eingelebt. Ehrlich gesagt hat es mir eine Mannschaft noch nie so einfach gemacht, mich auf Anhieb zurecht zu finden.

SPORT1: Einziger Kritikpunkt: Ihr falschgeschriebener Name in der Kabine des Bernabéu-Stadions?

Rüdiger: (lacht) Nein, so schlimm war das jetzt auch nicht.

SPORT1: Aber wie haben Sie darauf reagiert, als da plötzlich „Rüdiguer“ statt „Rüdiger“ stand?

Rüdiger: Mein kleiner Cousin hat mich darauf aufmerksam gemacht. Er hat mir ein Foto von meinem Spind geschickt und gefragt: „Toni, was ist da denn los?“ Das habe ich direkt unserem Teammanager weitergeleitet – mit dem Hinweis, dass man das ‚U‘ auch gerne weglassen kann. Er hat sich dann 1000-mal bei mir entschuldigt. Aber wie gesagt, das war kein Problem für mich. Ich musste selbst darüber lachen.

„Er war mein großes Vorbild bei Real Madrid“

SPORT1: Haben Sie von Ihren neuen Kollegen schon einen Spitznamen bekommen? Einen Toni gibt es bei Real ja schon.

Rüdiger: Genau, Toni Kroos ist bei uns Toni. Das Trainerteam nennt mich Antonio, meine Mitspieler sagen Rudi. Die haben natürlich auch schon gemerkt, dass ich ein positiv verrückter Typ bin.

SPORT1: Typen von der verrückten Sorte, speziell in der Abwehr, hatte Real ja schon einige.

Rüdiger: Stimmt. Da muss ich sofort an Pepe denken. Er war mein großes Vorbild bei Real Madrid, so wie er wollte ich immer sein. Ich habe mir früher Videos angeschaut, wie er seine Gegner weggrätscht. Da war ich noch jung und wollte jedem zeigen, dass auch ich hart sein kann. Das war in meinem Kopf drin. Wahnsinn, wie gut Pepe war. Nicht nur im Zweikampf, auch im Spielaufbau. Heute erzählen mir aber alle bei Real, dass er außerhalb des Platzes eigentlich ein ganz ruhiger Charakter war. Und wissen Sie was?

SPORT1: Bitte!

Rüdiger: Er war der einzige Spieler, auf den ich jemals eine Stunde gewartet habe, um sein Trikot zu bekommen. Pepe, Sergio Ramos und Thiago Silva sind die drei Spielernamen, auf die ich am stolzesten in meiner Trikotsammlung bin. Absolute Legenden!

Benzema ist Kabinen-DJ in Madrid

SPORT1: Bei Real bilden Sie mal mit David Alaba, mal mit Eder Militao die Innenverteidigung.

Rüdiger: Auch nicht schlecht (lacht). David kenne ich, wie auch Toni, Thibaut Courtois und Eden Hazard, schon länger. Er hat mir geholfen, mich sofort zu integrieren. Mit ihm haben wir einen dreimaligen Champions-League-Sieger, der sehr erfahren ist. Wir zwei sind die Älteren. Und mit Militao haben wir einen jüngeren Spieler, der schon jetzt sehr weit ist. Wenn ich ihn ansehe, sehe ich mich mit 24. Wir ticken gleich.

SPORT1: Welcher Spieler aus dem aktuellen Real-Kader hat Sie vom Charakter her besonders positiv überrascht?

Rüdiger: Toni Kroos. Bei der Nationalmannschaft sind wir immer gut und respektvoll miteinander ausgekommen, aber da haben wir eigentlich immer zwei Sätze miteinander gewechselt. Sowas wie „Hey, wie geht‘s?“ und „Tschüss“. Vielleicht, weil wir da einfach zu wenig Zeit hatten. Bei Real habe ich einen anderen Toni Kroos kennengelernt. Er spricht sehr gut Spanisch, ist komplett offen und auch sehr hilfsbereit. Er unterstützt mich seit Tag eins mit der Sprache und hat mir aus dem Nichts schon mehrmals angeboten, mir mit anderen Dingen zu helfen. Er ist ein sehr entspannter Typ.

SPORT1: Und als Fußballer?

Rüdiger: Was er seit seinem Wechsel hierher erreicht hat, ist der Wahnsinn. Dieses Standing und dieser Respekt, der ihm hier im Verein und generell in Spanien entgegengebracht wird, spricht für sich und ist natürlich auch ein Ansporn für mich.

SPORT1: Bei Ihrem vorherigen Klub Chelsea waren Sie der Kabinen-DJ. Haben Sie in der Real-Umkleide auch schon was aufgelegt?

Rüdiger: Nein, keine Chance, das macht bei uns Karim Benzema, der ist der Kabinen-Boss (lacht). Aber mit seiner Musik kann ich gut leben. Viele Afro-Beats, viel Hip-Hop – und für die Spanier manchmal auch ein bisschen Reggaeton.

Ancelotti stand plötzlich vor der Tür

SPORT1: Sprechen Sie schon Spanisch?

Rüdiger: Ich verstehe viel, ein paar Wörter kriege ich auch schon raus. Aber wir sind so international, bei uns wird auch viel Englisch, Französisch, Portugiesisch und Deutsch in der Kabine gesprochen. Der Trainer hält die Ansprachen in der Regel auf Spanisch, mit mir persönlich redet er immer auf Italienisch.

SPORT1: Wie ist Ihr Verhältnis zu Carlo Ancelotti?

Rüdiger: Da kann ich Ihnen eine sehr schöne Geschichte vom Vortag meiner Präsentation erzählen.

SPORT1: Gerne.

Rüdiger: Ich war erst ein paar Stunden mit meiner Familie in unserem neuen Haus, wir waren gerade am Grillen – bis es plötzlich an der Tür klingelte. Ich machte auf und vor mir stand einfach Carlo Ancelotti. Ein Wow-Moment!

SPORT1: Und dann?

Rüdiger: Hat er sich zu uns an den Tisch gesetzt, mitgegessen und meine Familie kennengelernt. Ganz normal, ganz bodenständig. Zwei Stunden war er da, wir haben uns über alles unterhalten. Ich bin ehrlich, so etwas habe ich noch nie erlebt, so etwas hat noch kein Trainer für mich gemacht. Nach den paar Monaten mit ihm muss ich sagen: Was den Umgang mit Spielern angeht, ist Ancelotti unantastbar. Don Carlo halt, eine Trainer-Legende – der hat schon Champions-League-Titel gesammelt, als ich noch ein Kind war. Mit ihm jetzt täglich und beim erfolgreichsten Verein der Welt zusammenzuarbeiten, ist wunderbar.

„Toni, eines Tages wirst du es zu Real schaffen“

SPORT1: Sie klingen wie jemand, der sich seinen Traum erfüllt hat.

Rüdiger: Ich kann das nicht als Traum bezeichnen. Mein Traum war es immer, in der Premier League zu spielen. Real Madrid war Fantasie, etwas Größeres – aber einfach nicht nah genug für mich. So richtig realisiert habe ich das auch erst nach meinem Umzug. Ich saß dann plötzlich in meinem Haus und konnte es nicht glauben, es war ein brutal schönes Gefühl. Dann die Begegnung mit Ancelotti und meine Präsentation einen Tag später ... Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal erleben werde!

SPORT1: Ihr Halbbruder Sahr Senesie ist auch Ihr Berater – und hat geholfen, den Transfer über die Bühne zu bringen. Wie dankbar sind Sie ihm?

Rüdiger: Ein Bruder ist nicht nur dafür da, wenn die Sonne scheint. Er ist auch da, wenn es regnet. Und das war er immer. Wir haben beide voneinander profitiert und uns gegenseitig nach oben gepusht. Für unsere Eltern und Geschwister ist es ein Traum, uns so zu sehen. Er ist nach meinen Kindern der wichtigste Mensch in meinem Leben. Vor allem hat er in Bezug auf meine Karriere immer anders gedacht als ich. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan von La Liga)

SPORT1: Inwiefern?

Rüdiger: Er hat immer von Real Madrid gesprochen. Er war der festen Überzeugung, dass ich irgendwann dort spiele – schon zu Stuttgarter Zeiten. „Toni, eines Tages wirst du es zu Real schaffen“, lauteten seine Worte. Ich habe ihn dann meist nur verdutzt angeschaut und abgewunken. Jetzt ist es einfach Realität.

SPORT1: Eine Rückkehr nach Deutschland war für Sie also keine Option?

Rüdiger: Für mich gab es nur zwei Optionen: Entweder ich bleibe bei Chelsea oder ich gehe zu Real. Deutschland war kein ernsthaftes Thema.

Rüdiger über legendäres Real-Comeback in der Champions League

SPORT1: Wann und wie haben Sie von dem Wechsel erfahren?

Rüdiger: Ende April wurde es so richtig konkret. Bevor alles klar war, hat mein Bruder mich aber ein bisschen an der Nase herumgeführt. Wir hatten mit Chelsea gegen Real im Viertelfinale der Champions League gespielt. Nach der Hinspiel-Niederlage sagte er dann auf einmal zu mir: „Toni, ich weiß nicht, ob das noch was wird! Im Rückspiel musst du jetzt alles zeigen, damit der Wechsel auch klappt.“ Ich war fertig im Kopf, das hat mich angestachelt.

SPORT1: Im Rückspiel waren Sie einer der Besten – und standen kurz vor dem Einzug ins Halbfinale.

Rüdiger: Nach dem 3:0 durch Timo Werner dachte ich: Die sind weg! Keine Mannschaft hatte Real so am Hals wie wir – in ihrem eigenen Stadion, zehn Minuten vor dem Ende. Ich habe dann darauf spekuliert, dass die Fans ein bisschen gegen ihre Mannschaft gehen und pfeifen. Ich wollte selbst auch noch ein bisschen sticheln (lacht). Doch da gab es nichts zu sticheln. Die Fans haben geschrien als hätte Real getroffen und nicht wir. Hier liegt irgendwas in der Luft, dachte ich. Und dann kam vier Minuten später dieser Außenrist-Pass von Modric – und die Dinge nahmen ihren Lauf.

SPORT1: Der Mythos Bernabéu.

Rüdiger: Ja. Lange geht nichts, lange ist es ruhig – aber dann kommt dieser eine Moment, der das Stadion beben und den Gegner erstarren lässt. Die Fans hier haben ein extrem hohes Fußballverständnis und wissen genau, wann sie für die Mannschaft da sein müssen.

SPORT1: Gut für Sie, jetzt selbst Teil dessen zu sein. Wie groß ist der Erfolgsdruck bei Real?

Rüdiger: Die Wucht des Vereins ist riesig. Man kann es sich als Außenstehender zwar ungefähr vorstellen, es dann aber selbst zu erleben ist etwas ganz anderes. Hier geht es nur ums Gewinnen. Es gibt keine andere Option. Wenn ich Jungs wie Luka, Toni oder Karim anschaue – die sind so tiefenentspannt, für die ist sogar ein Finale das Normalste der Welt.

SPORT1: Sind Sie eigentlich noch nervös vor Spielen?

Rüdiger: Nein, ich bin mittlerweile total ruhig und fokussiert vor den Spielen. Aber es reicht schon, wenn ich einen kleinen Tritt bekomme, dann kommt eine extreme Energie in mir hoch. Das gibt mir einen Kickstart und dann sage ich mir: Jetzt bin ich da, los geht‘s! (DATEN: Die Tabelle von La Liga)

Warum er Psychospielchen und Trashtalk liebt, was er über Thomas Tuchels Aus bei Chelsea denkt, wie er seine Rolle unter Hansi Flick im DFB-Team wahrnimmt und welche Pläne er für seine Zeit nach der Karriere verfolgt, verrät Antonio Rüdiger am Mittwoch im zweiten Teil des exklusiven SPORT1-Interviews.