Das zeichnet das neue Basketball-Überfliegerteam aus

Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass die MHP Riesen Ludwigsburg um die Meisterschaft der easycredit Basketball-Bundesliga spielen.

Schließlich ist es die erste Endspielteilnahme für die Schwaben überhaupt, als Basketball-Mächte taten sich im vergangenen Jahrzehnt vor allem Bayern, Bamberg und Berlin hervor.

Dabei kommt es keineswegs von so ganz ungefähr, dass das Team von Headcoach John Patrick beim Final-Turnier in den beiden Endspielen nun ALBA Berlin fordert (Freitag 20.30 Uhr/MagentaSport und im LIVETICKER auf SPORT1.de und am Sonntag 15 Uhr LIVE im TV und Stream auf SPORT1).

"Wir sind stolz, wie wir gefightet und uns präsentiert haben. Wir hatten einen Gameplan gegen die hochfavorisierten Bayern und Ulmer. Jetzt sind wir wieder in einer Underdog-Rolle gegen ALBA, wobei wir in diesem Turnier 38 Minuten lang auf Augenhöhe waren (89:97-Niederage in der Vorrunde, Anm. d. Red.)", sagte Patrick im SPORT1-Interview.

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Zweifelsohne ist das ein Meilenstein in der Geschichte eines Vereins, den der Gelegenheits-Fan manchmal vielleicht sogar nicht einmal auf der Landkarte verorten könnte.

LuBu wer also? Dabei hat Ludwigsburg, seit Patrick im Januar 2013 zu den Riesen kam, mit den Baden-Württembergern bereits fünfmal die Playoffs erreicht. Nach der bärenstarken Hauptrunde (Platz 2) ist der Finaleinzug fast folgerichtig.

SPORT1 erklärt gemeinsam mit Patrick, was das Überfliegerteam nördlich von Stuttgart ausmacht.

- Headcoach John Patrick:

"Er hat einen großen Anteil am Erfolg. Er coacht Ludwigsburg seit Jahren auf einem sehr hohen Level", sagt ALBA-Star Johannes Thiemann bei SPORT1 über seinen Ex-Coach, der ihn zwischen 2016 und 2018 in Ludwigsburg trainierte.

Patrick fordert viel, ist laut dem Vorsitzenden Alexander Reil "ein schwieriger Charakter", doch seine Methoden haben Erfolg.

"Er ist ein Coach, der es versteht, das Meiste aus seinen Spielern rauszukitzeln", so Thiemann: "Er passt gut zu diesem Turnierformat, weil er die Spieler zum Kämpfen bringt."

Der Vater von fünf Kindern, deren Vornamen allesamt mit einem J beginnen, steht seit 2013 in Ludwigsburg an der Seitenlinie. Zuvor hatte Patrick in Würzburg und Göttingen gecoacht. Zudem legte der 52-Jährige, der als Spieler ein Probetraining bei den Golden State Warriors absolvierte, eine Zwischenstation in Japan ein.

- Crunchtime-Nerven und gewachsene Stärke:

Bei dem wegen der Corona-Pandemie kurzfristig organisierten Finalturnier legten die Ludwigsburger den mühsamsten Weg zurück.

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Bis auf das 103:74 über Bamberg in der Vorrunde gab es für die Riesen nur enge Spiele mit einem, drei, vier, fünf, acht Punkten Differenz. Nach der Partie um den Gruppensieg mit Pokalsieger ALBA Berlin (89:97), eliminierte Ludwigsburg im Viertelfinale dann Titelverteidiger Bayern (87:83 und 73:74), ehe danach die zuvor unbesiegten Ulmer (71:71 und 94:85) - immerhin die Besten der Vorrunde - fällig waren.

Allerdings: Als die Hauptrunde im März abgebrochen wurde, waren die Riesen Tabellenzweiter, hatten bis dahin schon die Bayern (81:74) sowie Berlin (81:77) besiegt - Ulm sogar zweimal (106:75 und 94:76).

"Wir waren vor der Coronapause auf einem guten Weg", sagt Patrick: "Wir hatten den Vorteil, dass wir nicht international gespielt haben. Deswegen waren wir am Wochenende frischer als ALBA und Bayern. Wir waren im Rhythmus und fanden die Pause schade."

- Dreigestirn Knight, Wimbush und Wiler-Babb:

Mit 26 Punkten (persönliche Saisonbestleistung), 13 Rebounds (persönliche Bestleistung) und obendrein drei Assists wurde Marcos Knight gegen Ulm einmal mehr zum Matchwinner.

"Marcos ist sehr professionell, er hat Routine und ist sehr fokussiert. Man sieht in diesem Turnier seine Führungsqualitäten. Er ist ein guter Athlet und hat Skills im Ballhandling, Passing und Rebounding. Er ist unser Motor", meinte Patrick.

Zudem machte Knight mit diesen Zahlen mal eben sein viertes Double-Double im vierten Spiel in Folge. Auf Anführer Knight, als Aufbauspieler nur 1,88 Meter groß, dürfte es auch beim Showdown gegen ALBA ankommen, falls es seine Knöchelprobleme - Knight knickte gegen Ulm um - erlauben.

Auch ALBA-Coach Aito schwärmt: "Er ist ein kluger Spieler, er ist in der Lage, alles zu machen. Verteidigen, rebounden, scoren, vorbereiten. Er spielt exzellent."

Die Ludwigsburger, die nach schwachen 13,8 Prozent von der Dreierlinie im Hinspiel ihre Ausbeute aus der Distanz auf 37 Prozent (elf von 30 Dreiern) schraubten, sind aber mehr als der "Knight-Rider".

Trotz des Verlusts dreier Leistungsträger (Khadeen Carrington, Tanner Leissner, Konstantin Konga) blieb das Team fokussiert. "Es ist es eine Überraschung, wie gut wir funktionieren", findet Patrick.

Mit 22 Punkte und zwölf Rebounds schaffte Thomas Wimbush ebenfalls ein Double-Double. Nick Weiler-Babb steuerte auch noch 20 Zähler bei. Nicht wegzudenken aus dem Team überdies: Power Forward Hans Brase, der nicht nur durch seinen Schnurrbart Kult ist, sondern vor allem gegen Bayern überragte.

- Unangenehme taktische Ausrichtung:

Ludwigsburg steht dennoch nicht für eine kreative Offensive wie die der Ulmer oder Berliner, sondern überzeugt mit knallharter Verteidigung, Physis und vielen Einzelaktionen im Angriff.

"Wir haben Schnelligkeitsvorteile, weil wir kleiner sind, dafür müssen wir dann doppeln. In unserem System wollen wir vor allem verteidigen und passen", meinte Patrick: "Sie haben einen Größenvorteil, wir wollen unsere Schnelligkeit und Fähigkeit zum Pressen nutzen."

Das Hinspiel gegen Ulm bezeichnete Patrick als "ugly" (hässlich), das zweite Duell als "Dogfight". Center Jonas Wohlfarth-Bottermann drückt es so aus: "Unser Stil ist bekannt: Defensiv, zermürbend, viel Druck."

ALBAs Thiemann erwartet "ein unangenehmes Matchup. Sie spielen sehr, sehr physisch, haben überall eine Hand drin. Es ist eine Mannschaft, die immer kämpft, die immer beißt."

Sein Pressing nannte Patrick einmal "full court 40 minutes hell". Dem Gegner auf dem ganzen Spielfeld die ganzen 40 Spielminuten lang eine Hölle zu bereiten, erfordert indes eine enorme Intensität und Fitness. "Unser System ist es, das andere Team aus dem System zu bringen", kommentiert es Brase. Berlin-Geschäftsführer Marco Baldi nennt es, "das Spiel zerstören".

"Wenn wir die Turnover kontrollieren und in der Verteidigung nicht spekulieren, sondern solide spielen und rebounden, haben wir auch gegen eine Topmannschaft Chancen", analysiert Patrick: "Wir hatten in allen Topligen Europas die wenigsten Turnover, darauf haben wir uns seit Jahren fokussiert."

- Fokus auf den Nachwuchs:

Für das Meisterturnier hat Patrick wegen mehrerer Ausfälle seinen 16 Jahre jungen Sohn Jacob und den zwei Jahre älteren Johannes in den Kader berufen. Insgesamt sind sogar fünf deutsche U20-Talente dabei - die nun vor ihrer größten Bewährungsprobe stehen.

"Ich war in den letzten drei Jahren in unser Jugendprogramm sehr involviert", erklärt Patrick, der in den vergangenen beiden Jahren das Offseason-Programm für das Nachwuchs-Bundesliga-Team machte: "Ich glaube, bei keinem Verein ist der Profistaff enger in die tägliche Jugendarbeit eingebunden als in Ludwigsburg."

Patrick fordert und fördert zugleich. "Unsere Profis agieren als Vorbilder und Tutoren für die Jungen und schützen die Welpen", meint er. Besonders Knight ist "in vielfacher Hinsicht ein Vorbild für die jungen Spieler, die er auf die Spiele vorbereitet."

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Außerdem sei das Selbstvertrauen der jungen Spieler "unglaublich gewachsen." Ariel Hukporti (18) prophezeien manche Experten bereits eine NBA-Karriere, dazu kommt Raddii Caisin (19).

"Wir werfen nicht nur fünf junge Spieler aufs Feld und sagen: 'Guckt mal, bei uns spielen die Jungen.' Wir spielen, um zu gewinnen, und dass wir mit jungen Spielern gewinnen können, ist nicht selbstverständlich. Sie sind bereit dafür, weil sie die Schritte im Training gemacht haben."

- Kleiner Etat - große Wirkung:

Mit einem geschätzten Etat von fünf Millionen Euro mischen die Riesen im Mittelfeld der Liga mit. Zum Vergleich: Jener der Bayern ist fünfmal so hoch.

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"Besonders bei Amerikanern kostet jeder Zentimeter Geld. Wir haben aber nicht so viel Budget, darum spielen wir oft mit vier Guards", erklärt Patrick sein Erfolgsrezept.

Berlin habe "Einzelspieler wie (Luke) Sikma oder (Peyton) Siva, die wir uns nicht leisten können. Wir müssen uns auf unsere Fähigkeiten konzentrieren und dafür sorgen, dass unsere jungen Rollenspieler eine große Rolle spielen."

Dass er aus kleinen Mitteln eine große Wirkung entfalten kann, bewies Patrick bereits in Göttingen und Würzburg, wo er ebenfalls keine Riesensummen zur Verfügung hatte. Ludwigsburg ist auch ein Ausbildungsbetrieb, für amerikanische Spieler ist es ein Sprungbrett. "Ich bin stolz, dass Agenten und junge Spieler sehen, wo frühere Ludwigsburger Spieler hingehen", sagt Patrick.

So schafften die früheren Ludwigsburger Royce O’Neale oder Kelan Martin den Sprung in die NBA, Thomas Walkup wiederum in die Euroleague zu Litauens Topklub Kaunas.

Doch Patrick will mehr: "Ich hoffe immer auf mehr Geld", sagt er schmunzelnd: "Wenn wir das schaffen, haben wir mehr Möglichkeiten. Ich bin stolz, dass wir eine Ausbildungsfunktion haben. Für unsere Fans ist es aber auch wichtig, dass wir Erfolg haben."