Das Zittern am Tag der Wahrheit

Vor dem Tag der Corona-Wahrheit spürt Ralph Denk Lampenfieber wie bei der schlimmsten Mathe-Klausur:

"Ich habe davor richtige Bauchschmerzen", sagte der Chef des Bora-hansgrohe-Teams. Am Montag, dem ersten Ruhetag der Tour de France, werden seine acht Profis um Emanuel Buchmann und alle weiteren Fahrer im Feld auf eine COVID-19-Infektion getestet - es wird sich zeigen, ob die Tour-Blase gehalten hat oder pures Chaos droht. (Tour de France: Alle Etappen im SPORT1-LIVETICKER)

Obwohl Frankreich am Freitag mit fast 9000 Neuinfektionen einen neuen Höchstwert meldete, blieb es bislang ruhig an der Corona-Front der Tour, ein COVID-19-Fall wurde nicht gemeldet.

Das heißt zum einen, dass zumindest kein Fahrer oder Teammitglied ernsthaft erkrankt ist, kann aber andererseits auch ein Trugbild sein: Da seit dem Rennstart vor mehr als einer Woche niemand provisorisch getestet wurde, mussten asymptomatische Fälle unentdeckt bleiben - und könnten nun auffliegen. (Gesamtwertung der Tour de France 2020).

Falschdiagnosen als größtes Risiko

Denks Bauchschmerzen resultieren allerdings nicht einmal aus der Furcht davor, dass die Pandemie im Feld wüten könnte. "Ich glaube nicht, dass sich einer in der Abstinenz, in der wir hier leben, infiziert hat, da habe ich keine Angst", sagt er: "Falsch positive Tests - da habe ich große Angst."

Die gängigen PCR-Tests liefern keine 100-prozentige Trefferquote, Falschdiagnosen sind möglich - wie die Bora-Mannschaft kurz vor der Tour selbst erlebte, als sie sich wegen eines positiven Tests, der sich im Nachhinein als fehlerhaft entpuppte, vom Eintagesrennen Bretagne Classic zurückziehen musste. Und derartiges könnte bei der Tour harte Arbeit und große Träume zerstören.

Zur Erinnerung: Zwei Fälle unter den 30 Mitgliedern einer Teamblase - und die komplette Mannschaft samt aller Fahrer ist raus aus dem Rennen. Um Gewissheit zu haben, sollen nun alle Probenergebnisse möglichst bis Montagmittag vorliegen. "Dann wäre Zeit für einen weiteren Test", sagt Denk.

Tony Martin erwartet "nichts"

Die Profis und ihr Personal sind während der Tour weitestgehend von Kontakten zum gemeinen Volk abgeschnitten, aber eben nicht völlig. "Die Autos zum Beispiel müssen eben auch mal von uns an der Tankstelle aufgetankt werden", sagt Denk. Dennoch herrscht im Tour-Alltag gemeinhin ein Gefühl von Sicherheit. (Erklärungen zu den Begriffen und Trikotfarben der Tour de France).

Bei den Tests am Montag erwarte er "nichts", sagte Tony Martin: "Wir sind so gut abgeschirmt, ich fühle mich hier sicherer als zuhause. Wir nehmen nicht eine Minute am täglichen Leben teil. Ich gehe davon aus, dass sich zumindest bei den Fahrern niemand angesteckt hat."

Greipel fleht Fans an

Dennoch waren der Jumbo-Profi und seine Kollegen vor allem an den Pyrenäen-Anstiegen des Wochenendes durchaus Risiken ausgesetzt: Den berüchtigten Peyresourde bevölkerten am Samstag Menschenmassen nahezu wie in Vor-Corona-Zeiten, Fans rückten dicht an die Fahrer heran. Die überwiegende Mehrheit trug dabei Masken, ein geringer Prozentsatz trotz eindringlicher Mahnungen aber eben nicht.

"Alle Teilnehmer an der Tour bringen unter Umständen große Opfer. Und es ist doch so einfach, dieses Rennen am Laufen zu halten", twitterte Sprint-Routinier Andre Greipel am Sonntag fast flehentlich: "Respektiert die Regeln, haltet Abstand, tragt Masken! Bitte!"

Die Corona-Tour bleibt ein fragiles Gebilde, nicht nur beim Testmarathon am Ruhetag.