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Becker und Zverev: Was sie eint, was sie (noch) trennt

Becker und Zverev: Was sie eint, was sie (noch) trennt
Becker und Zverev: Was sie eint, was sie (noch) trennt

Natürlich kommt die Frage auf. Jetzt erst recht, könnte man sagen. Wer ist Deutschlands größter Tennisspieler? Und wenn die Antwort aktuell zu Gunsten von Boris Becker ausfällt, schließt sich eine Frage an: Hat Alexander Zverev das Zeug, in diesem historischen, nationalen Ranking in Beckers Fußstapfen zu treten? (Olympia 2021: Alle Entscheidungen im SPORT1-Liveticker)

Um sich einer Antwort zu nähern, bedarf es zweier Ebenen. Erstens: der sportlichen. Zweitens: der emotionalen.

Zum Sportlichen, zu den Fakten:

Als erster deutscher Tennisspieler hat Zverev am Sonntag in Tokio Olympia-Gold im Einzel der Männer gewonnen. Steffi Graf gelang dies 1988 in Seoul bei den Frauen, Becker vier Jahre später in Barcelona im Doppel mit Michael Stich. 2000 in Sydney kam Tommy Haas mit Silber dem Olympia-Einzelsieg vor Zverev am nächsten.

Zverev hat einen Weltmeistertitel vorzuweisen. 2018 gewann er die ATP-Finals als 21-Jähriger im Endspiel gegen Novak Djokovic. Becker ist dreimaliger Weltmeister (1988, 1992, 1995), seinen ersten WM-Titel feierte er wie Zverev mit 21 Jahren.

Zverevs großer weißer Fleck

Grand-Slam-Titel? Sie sind - noch - Zverevs großer weißer Fleck, sein Manko. Ob in Melbourne, Wimbledon, Paris oder New York: Über drei Gewinnsätze hat der 24-Jährige gegen die Top-Rivalen bislang stets den Kürzeren gezogen. (Alles Wichtige zum Tennis)

Becker wiederum gewann insgesamt sechs Grand-Slam-Turniere. Unvergessen ist sein erster Triumph mit 17 Jahren 1985 in Wimbledon, das später “sein Wohnzimmer” werden sollte. Zwei weitere Titel in Wimbledon (1986, 1989) folgten, zudem Siege bei den US-Open (1989) und den Australian Open (1991, 1996).

Becker: “Dein größter Erfolg (bis jetzt)”

Becker gratulierte Zverev am Sonntag via Instagram: “Dein größter Erfolg (bis jetzt).” In den Worten schwingen unverblümte Hoffnung und Aufforderung mit. Zverev soll nun auch bei den Grand-Slam-Turnieren liefern, bestenfalls schon Ende August in New York.

Damit zur zweiten Ebene, der weicheren, schwerer zu fassenden: den Gefühlen.

Beckers Aufstieg fällt in eine Epoche, in der die Deutschen ihre Sportstars noch uneingeschränkt ins Herz schließen. Graf, Becker, Franziska van Almsick - sie werden zu Lieblingen der Massen.

Bei Becker kommt hinzu: Er ist ein Lausbub, dem scheinbar nichts krummgenommen wird. Und seine Spielweise ist spektakulär. Aufschlag, vor ans Netz, Volley. Immer Angriff, immer volle Lotte, immer ganz oder gar nicht. Mitfiebern inklusive. Becker-Hecht, Becker-Faust, es sind Begriffe, die es bis ins Vokabular der deutschen Sprache schaffen.

Zverevs gestörte Fan-Beziehung

Und Zverev? Ist gesegnet mit Talent, ein Allrounder. Zum Hechtsprung braucht er kaum ansetzen, bei so viel technischem Potenzial. Bei den Fans löst so eine Spielweise eher Respekt als Begeisterung aus.

Hinzu kommt: Zverev und die Heimatverbundenheit - es war bislang ein diffuses Thema. Sohn russischer Eltern, geboren in Hamburg, eher Kosmopolit, der Tennis-Jetset ist sein Zuhause. Er hat schon mehr als 25 Millionen Euro an Preisgeld verdient, die Steuern zahlt er in seiner Wahlheimat Monaco, wohin es Becker auch verschlagen hat.

Becker opferte sich trotzdem für Deutschland auf. Unvergessen sind seine Nerven und Fingernägel zerfetzenden Auftritte im Davis-Cup, sein Marathon-Match gegen John McEnroe, der anschließende Jubel mit der schwenkenden Fahne.

Zverev boykottierte zuletzt den Davis Cup, weil er den Modus nicht mag. Olympia 2016 in Rio hatte er auch abgesagt.

Doch Tokio könnte ein Wendepunkt sein in der fragilen Beziehung zwischen Zverev und den Fans. Eine Art Versöhnung, ein entfachtes Feuer. (ATP: Aktuelle Tennis-Weltrangliste der Herren)

Zverev auf neuer Mission

“Ich habe für alle Leute hier im Dorf gespielt. Für alle, meine Familie, meine Eltern, meine Tochter, alle, die zu Hause mitgefiebert haben”, sagte Zverev im Taumel der Gefühle mit dem Bundesadler auf dem Stirnband.

Wie groß die Sehnsucht nach einem neuen deutschen Tennishelden ist, zeigen auch die Einschaltquoten. 4,45 Millionen Zuschauer verfolgten Zverevs Finale.

Mit dem Erfolg im Rücken sieht sich Zverev nun auf einer Mission. “Ich möchte, dass kleine Kinder zu ihren Eltern gehen und sagen, ich möchte Tennis ausprobieren”, sagte er.

Lässt er dem Becker-Boom jetzt einen Zverev-Boom folgen? Dann hätte Zverev auch auf der zweiten Ebene einen riesigen Schritt gemacht.

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