Warum Zverev einfach kein Straßenkämpfer ist

Warum Zverev einfach kein Straßenkämpfer ist

Als Alexander Zverev mit frustriertem Blick und hängenden Schultern aus der Rod Laver Arena schlich, mochte der Hamburger einem nur noch leid tun. Erneut war Zverevs großer Traum vom ersten Grand-Slam-Titel geplatzt, diesmal im Viertelfinale der Australian Open.

Dabei hatte die 23 Jahre alte deutsche Nummer eins bei der hart umkämpften 7:6 (8:6), 2:6, 4:6, 6:7 (6:8)-Niederlage gegen Superstar Novak Djokovic lange Paroli geboten - mehr als das sogar.

"Es ist so ärgerlich", meinte Zverev angesichts einiger vergebener Chancen.

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Im dritten Satz etwa, als er schon 4:1 geführt hatte. Oder im vierten Durchgang angesichts eines 3:0-Vorsprungs und Chancen auf das Doppelbreak. Auch im letzten gespielten Tiebreak trennte Zverev nur noch ein Punkt vom Satzgewinn.

Im Tennis-Podcast "Cross Court" von SPORT1 erklärt Tennis-Experte Stefan Schnürle zwar, dass Djokovic sowohl beim Satzball als auch bei vielen Breakchancen von Zverev "überragend servierte und überragende Ballwechsel spielte" - einen Kritikpunkt hat er aber dennoch: "Immer direkt nach den verpassten Breaks hat Zverev seinen Aufschlag verloren. Vor allem im 3. Satz, als Djokovic so negativ war, hat ihn Zverev damit zurückgeholt. Das war für mich der Wendepunkt."

Das erwartet Mischa Zverev von seinem Bruder

Auch Mischa Zverev merkte unmittelbar nach dem Aus noch vor Ort bei Eurosport an, dass sein Bruder in diesen Situationen besser agieren müsse: "Wenn Sascha mit einem Break vorne ist, dann will ich, dass er noch fünf oder zehn Prozent draufpackt". Der 33-Jährige will Alexander Zverev dann noch "dominanter, aggressiver und selbstbewusster" sehen.

Eigenschaften, die man von den Big 3 (Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer) kennt, die dem Weltranglistensiebten aus Deutschland aber in wichtigen Phasen bei Grand Slams noch zu oft abgehen - so auch gegen den Djoker, der infolge seiner Muskelverletzung am Bauch auch körperlich zumindest in Satz 1 noch nicht auf der Höhe wirkte, was sich danach aber änderte.

"Sascha hat laut an die Tür geklopft, aber Novak hat sie zugehalten", umschrieb Boris Becker das Match. Mehr noch: "Novak hat eine Straßenkämpfermentalität, er will in den Infight, ins Körperliche, ins Mentale", so die Tennis-Legende. (Australian Open, Viertelfinale: Alexander Zverev - Novak Djokovic zum Nachlesen im Ticker)

"Mit ein bisschen mehr Konsequenz und Entschlossenheit", führte die Tennis-Legende weiter aus, "hätte Sascha das gewinnen können." Tat er aber eben nicht, sondern derjenige mit der Straßenkämpfermentalität. (Die ATP-Weltrangliste)

Djokovic zertrümmert Racket - und kommt ins Rollen

Es war dieses Wechselspiel aus Psyche, Körpersprache - man denke nur daran, wie Djokovic im vierten Satz beim Stand von 1:3 wutentbrannt seinen Schläger zertrümmert hatte - und dem bewussten Zur-Schau-Stellen vermeintlicher Schwächephasen, womit der Rekordsieger und Titelverteidiger seinem Widersacher schließlich den Zahn zog.

Es wirkte so, als hätte Zverev in jedem Satz gegen eine andere Person gespielt - denn so häufig hatte Djokovic im Laufe des Matches sein Gesicht gewechselt.

Der Serbe schafft es regelmäßig, in den Kopf des Gegners kriechen - genau das konnte Zverev nicht, als es darum ging, erstmals in seiner Karriere einen Top-10-Spieler auf Grand Slam-Niveau zu schlagen. Zverev hängt dafür weiter in der Warteschleife.

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Zur Erinnerung: Im Vorjahr bei den Australian Open hatte er im Halbfinale gegen Dominic Thiem ebenfalls den ersten Satz eingefahren, vergab im dritten Durchgang aber zwei Satzbälle und verlor die Partie noch. Bei den US Open im vergangenen September hatte er Thiem im Finale bei einer 2:0-Satzführung erneut am Rande des Knockouts - um wieder den Kürzeren zu ziehen.

Zverev in den entscheidenden Momenten zu naiv

Im Duell mit Djokovic, der nun auf Turnier-Überraschung Aslan Karatsev (Russland) trifft, gab es nun das nächste Déjà-vu.

"Er gibt halt nie, nie, nie auf. Du kannst dir gegen ihn nicht sicher sein. In keiner Sekunde", klagte Zverev hinterher und fügte an: "In vielen Momenten habe ich vielleicht sogar besser gespielt, aber er ist ein Gewinner und hat das wieder gezeigt."

Dieses Gewinner-Gen gegen die größten Gegner auf der größten Bühne fehlt dem Hamburger noch etwas, wenngleich Star-Moderatorin Laura Papendick im Tennis-Podcast "Cross Court" findet, dass Zverev auch Positives aus der Partie mitnehmen kann: "Zverev hat eine Entwicklung gemacht. Man hat nicht mehr den Eindruck, es kann schon in Runde 2 vorbei sein. Er wirkt gefestigter und spielt konstanter."

Betrachtet man die Probleme, die Zverev in früheren Jahren oft bereits in den ersten Runde hatten, lässt sich bei Deutschlands Nummer eins definitiv eine Entwicklung feststellen. Er gewinnt jetzt meist relativ souverän gegen Gegner, die er mit seiner Klasse auch besiegen muss.

Doch das Match gegen Djokovic hat erneut gezeigt, dass es für den ganz großen Wurf immer noch nicht reicht.