Bierhoffs Kritik an Özil: Ein menschliches und moralisches Armutszeugnis

Anstatt sich auf eine ehrliche Fehlersuche für das WM-Aus zu begeben, wählt der DFB-Manager den billigen, populistischen Weg. Ein riskantes Armutszeugnis.

Ein Kommentar von Moritz Piehler

Oliver Bierhoff hat Mesut Özil für das WM-Aus mit verantwortlich gemacht.
Oliver Bierhoff hat Mesut Özil für das WM-Aus mit verantwortlich gemacht.

Oliver Bierhoff hat sich der Presse gestellt, um über das frühe WM-Aus der DFB-Elf zu sprechen. Das gehört zu den Aufgaben eines Teammanagers und man durfte gespannt sein, wie ehrlich und selbstkritisch der sportlich mächtigste Mann beim DFB sich äußern würde.

Was dabei heraus kam, war mehr als enttäuschend und lässt wenig gutes ahnen für die kommende Entwicklung der Nationalmannschaft. Denn Bierhoff lenkte den Fokus einmal mehr auf Mesut Özil und die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Das Thema hatte im Vorfeld sehr viel Unruhe in die Mannschaft gebracht und war von der Führung, auch von Bierhoff, extrem unterschätzt worden. Nun war es aber nicht so, dass Bierhoff in dem Interview mit der Welt selbstkritisch mit der medialen Aufarbeitung des Özil-Gündogan-Eklats umging. Oder sich gar vor seinen Spielmacher stellte, der immerhin auch amtierender Weltmeister ist.

Bierhoff geht den billigen Weg

Stattdessen ging der Teammanager einen anderen, einen billigen Weg. Er warf Özil den Wölfen zum Fraß vor. Gefragt, warum der DFB nicht anders in der Diskussion reagierte, antwortete Bierhoff: „Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet.“ Man wolle natürlich keine einzelnen Spieler oder Mitarbeiter an den Pranger stellen, sagte Bierhoff. Für Özil galt dies offensichtlich nicht.

Kommentar zum Löw-Verbleib: Die Glaubwürdigkeit geht

Die Botschaft an die Spieler lautet klar: Wer unbequem ist oder uns nicht nach dem Mund redet, wird in Zukunft fallen gelassen. Und: Wenn ihr in Probleme geratet, stehen wir nicht hinter euch. Es ist genau das gegenteilige Signal, das der Mannschaft gut getan hätte. Denn in Russland fehlte es an Typen, die lautstark und mit Überzeugung vorangehen und denen ein Team dann folgen kann. Stromlinienförmige Kicker hat der DFB en masse.

Bierhoff selbst war als Spieler durchaus nicht der schweigsame Typ. Er galt zwar als glatt und unzugänglich, in einer Zeit, als ein Studium und eine Frisur im Profifußball noch diskreditierend wirkten. Aber er war durchaus immer mit offener Kritik zu hören und sorgte immerhin mit seinem EM-Siegtor 1996 für eine kleine Pause in der sportlichen Flaute nach dem WM-Titel 1990. Warum gerade er jetzt als Manager diesen Weg wählt, ist unverständlich. Die Beweggründe, auf die man von außen schließen könnte, werfen beileibe kein gutes Bild auf den Ex-Stürmer. Vordergründig wirkt es vor allem sehr wie eine Ablenkungsstrategie von den eigenen Verfehlungen.

DFB-Umgang mit Erdogan-Gate: Möglichst viel schweigen und aussitzen

Die Mannschaft hat nie zusammengefunden, wuchs nicht zu einer Einheit. Das hat nur sehr bedingt mit Özil oder Gündogan zu tun. An der Spielerauswahl hat der deutsche Zehner erst recht nicht mitgewirkt, das haben Löw und sein Team ganz alleine fertig gebracht. Auch das Medienmanagement fällt nicht in seinen Aufgabenbereich – und da hat sich der DFB in uralte Zeiten zurück fallen lassen. Möglichst viel schweigen und das Problem aussitzen. Das ist ordentlich in die Hose gegangen.

Wie hätte wohl ein Özil gespielt, dem der DFB den Rücken gestärkt hätte? Der das Gefühl gehabt hätte, einen Fehler gemacht zu haben, aber dafür nicht gesteinigt und fallengelassen zu werden, sondern gegenüber den rassistischen Anfeindungen aus dem eigenen Lager geschützt zu werden?

Und das führt zu einem Aspekt des Bierhoff-Interviews, der noch deutlich unschöner ist. In der Stimmung, die seit dem Erdogan-Foto im Lande herrscht, noch Öl ins Feuer zu gießen, ist nahezu unverantwortlich. Die deutsche Nationalmannschaft repräsentiert dieses Land und seine Bevölkerung. Das bedeutet klipp und klar, dass auch die besten Spieler mit Migrationshintergrund dazu gehören. Es ist etwas, worauf man stolz sein kann, ein Symbol, für ein Deutschland, das sich von den muffigen Nachkriegsjahren entfernt hat und zu einer offenen, vielfältigen Nation geworden ist.

Bierhoff spielt den Rassisten in die Karten

Dazu gehört aber auch, sich nicht nur die bequemen, stillen Spieler auszusuchen, sondern einfach die besten. Dass ausgerechnet Özil und Gündogan so heftige öffentliche Schelte bezogen, ist kein Zufall. Es hat auch und zuerst mit ihrer familiären Herkunft zu tun. Und die Kritik an den beiden war keineswegs sachlich begründet in vielen Fällen. Wie sich Bierhoff jetzt geäußert hat, spielt leider den Rassisten in die Karten. In einer politischen Lage in Europa und in Deutschland, in der eine ohnehin aufgeheizte Stimmung herrscht, ist das fatal.

Wichtig wäre gewesen, ein Signal dagegen zu setzen. Eines, in dem klar wird: Wer die eigenen (oder andere) Spieler aus rassistischen Motiven heraus angreift oder beleidigt, auf den verzichten wir gerne als Fan. Nicht mal, nachdem Özil noch im Stadion angegangen wurde, stellte sich der DFB schützend vor ihn. Von den Social-Media-Hetztiraden gegen den Weltmeister ganz zu schweigen. Klare Kante wäre angebracht gewesen, so wie bei der Schwedischen Nationalmannschaft, die sich geschlossen hinter ihren türkischstämmigen Mitspieler Jimmy Durmaz stellten, als dieser rassistisch beleidigt wurde. Durmaz hatte das Foul vor dem spielentscheidenden Kroos-Freistoß begangen und wurde danach in der Heimat extrem beleidigt. Die gesamte Schwedische Mannschaft nahm daraufhin ein Video auf, in der Durmaz eine Erklärung verlas und seine Teamkollegen dann ihre Position laut und deutlich klar machten: „Fuck Racism!“

Bierhoff wählte einen anderen, feigen Weg, und es muss ihm bewusst gewesen sein, welche Auswirkungen das hat, schließlich ist er ein Medienprofi. Das lässt nichts Gutes ahnen für die Aufarbeitung des historischen WM-Ausscheidens. Und erst recht lässt es einen nicht daran glauben, dass dem DFB ein echtes Umdenken gelingt, weg von der lethargischen Einstellung, die zu der sportlichen Niederlage geführt hat. Vor allem, aber ist es menschlich und moralisch ein echtes Armutszeugnis für den DFB und seinen Top-Vertreter.