Tumulte und ein neuer Feind

Uli Hoeneß ist Präsident, Karl-Heinz Rummenigge lobt die bayerische Welt in den Himmel und Abtrünnige werden mit 1860 München in Verbindung gebracht. Das hat es auf einer Jahreshauptversammlung des FC Bayern München alles schon gegeben. Die Veranstaltung 2016 hatte es aber trotzdem in sich. Von Thomas Gaber

“Hier geht’s nicht durch, fahren’s weiter, parken’s da vorne im Wohngebiet und gehen’s zu Fuß zur Halle.” Die Ansage des Polizisten war unmissverständlich. Nett, aber bestimmt. Im Grunde vermittelte mir der Beamte nichts anderes als ein saftiges “Schleich dich!”

Wie mir erging es einer ganzen Reihe von Autofahrern, die einen der begehrten Parkplätze ergattert wollten rund um den Audi Dome, wo am Freitagabend Geschichte geschrieben wurde. Die Geschichte eines Fußballvereins, der nicht gerade arm an solchen ist.

Die Jahreshauptversammlung des FC Bayern München stand an und alle wollten hin. Verkehrschaos schon Stunden vor Beginn der Veranstaltung, lange Warteschlangen für die Klub-Mitglieder an den Eingängen. Ungeduld, Ärger, ja sogar Tumulte. Weil der Austragungsort nur für etwa 5.500 Zuschauer Platz bietet, wurde in weiser Voraussicht neben dem Audi Dome extra ein 2.000-Mann-Zelt für den Abend aufgebaut.

Als es dann aber auch dort allmählich eng wurde und die Ausgeschlossenen anfingen, sich lautstark über die ihrer Meinung nach desorganisierte Party zu beschweren, sah sich der Mann des Abends höchstpersönlich gezwungen, die Gemüter zu beruhigen. Uli Hoeneß schnappte sich ein Mikrophon und bat um Entschuldigung für die entstandenen Unannehmlichkeiten.

Drinnen machten es sich derweil die über 7.000 Glückspilze, die früh genug kamen, um sich im Audi Dome breit und bereit zu machen für die nächsten fünf Stunden. Und sie bekamen exakt das, was sie erwartet hatten: Einen emotionalen Abschied von Karl Hopfner, der 33 Jahre lang in verschiedensten Leitungsfunktionen (Geschäftsführer, Aufsichtsratschef, Präsident – um nur einige zu nennen) für den FC Bayern tätig war.

Rummenigge teilt heftig gegen die Medien aus

Einen staubtrockenen Zahlenvortrag von Finanzvorstand Jan-Christian Dreesen, was aber nicht an der Person, sondern am allgemeinen Spannungsfaktor von Zahlen liegt. Immerhin konnte Dreesen einmal mehr Rekordnummern vortragen, der Umsatz des FC Bayern steigerte sich im abgelaufenen Geschäftsjahr um über 20 Prozent auf 626,8 Millionen Euro.

Eine überdimensional lange Rede (62 Minuten!) von Karl-Heinz Rummenigge, der Gott und der Welt dankte, auf die Medien wegen einer angeblichen “Kampagne gegen Pep Guardiola” eindrosch und dabei sogar Parallelen sah zur Berichterstattung über den Brexit und die US-Präsidentenwahl, sowie eine Erklärung für Katar als Ort der Winter-Trainingslager: die dortige Wärme…

Auf das Abfeuern von Giftpfeilen Richtung Konkurrenz verzichtete der Vorstandsboss dagegen größtenteils. Rummenigge wies lediglich daraufhin, dass mit dem Heimspiel am Samstag gegen Bayer Leverkusen “eine neue Zeitrechnung” beim FC Bayern beginne, weil man Tabellenführer Leipzig “ab sofort jagen werde”.

Seitenhieb gegen den Stadtrivalen

Zum guten Ton gehört es bei einer Veranstaltung des FC Bayern, wenigstens dem Stadtrivalen eins auszuwischen. Über 1860-Investoren-Rowdy Hasan Ismaik sagte Rummenigge: “Gott, behüte uns vor solchen Leuten.”

Die Stimmung näherte sich dem Siedepunkt, bekam aber prompt einen Dämpfer. Ein Gast hatte einen einen Schwächeanfall erlitten und musste ärztlich versorgt werden. Hopfner unterbrach in seiner Funktion als Wortführer mit dem nötigen Anstand die Show für ein paar Minuten, ehe der Mann im Beisein der Ärzte unter aufmunterndem Applaus aus der Halle gebracht wurde.

Die kurz geschockten Mitglieder konnten sich nun dem wichtigsten Tagesordnungspunkt widmen – der Wahl des neuen Präsidiums mit Uli Hoeneß an der Spitze. Der Wahlausschussleiter las die Kandidaten für das dreiköpfige Präsidium vor und bat die Herren Hoeneß, Dieter Meyer und Walter Mennekes anschließend der Reihe nach aufs Podium.

Gelitten wie ein Schlosshund

Und dort stand er nun, der Uli. Dort, wo er drei Jahre lang nicht stehen durfte als rechtlich verurteilter Steuerhinterzieher. Dort, wo er aber nach Meinung der Bayern-Fans hingehört: Am Rednerpult einer Jahreshauptversammlung des FC Bayern München.

Neun Minuten lang sprach Hoeneß zu den Mitgliedern. Kurz, knackig, emotional. Er habe im Gefängnis nächtelang “geweint wie ein Schlosshund”, weil er tausende Briefe von wildfremden Menschen erhalten habe, die ihm Mut zusprachen. Er bat die Mitglieder um eine zweite Chance und schilderte seine Vision vom FC Bayern der Zukunft. Dabei sprach er in erster Linie die soziale Verantwortung des Klubs an, der er um jeden Preis nachkommen wolle.

Und Hoeneß kündigte etwas verklausuliert die Rückkehr der Abteilung Attacke an. “Die Fähigkeit in einer klaren Sprache und Aussprache Probleme anzusprechen, ist nicht verloren gegangen. Sie schläft nicht, sie ruht. Und sie kann bei Bedarf jederzeit zurückkommen.”

Die Rede von Uli Hoeneß im Wortlaut

Donnernder Applaus, “Uli Hoeneß”-Sprechchöre. Keine Chance für diejenigen, die Hoeneß die Gefolgschaft verweigern wollten. Mit 98 Prozent der abgegebenen Stimmen wurde Hoeneß gewählt, seine Präsidiumskollegen schnitten sogar noch etwas besser ab.

Leipzig ist der neue Feind

Kaum im Amt nahm Hoeneß auch schon Platz. Mit Namensschild “Uli Hoeneß Präsident”. So schnell ändern sich die Zeiten. Gestern noch im Knast, heute Hoffnungsträger der Romantiker unter den Bayern-Fans, die nicht viel anfangen können mit Büros in Shanghai und Marketing-Ausflügen in die USA. Hoeneß wird dafür sorgen, dass Höhenkirchen-Siegertsbrunn genauso wichtig bleibt wie Hongkong.

Und Hoeneß wird dafür sorgen, dass beim FC Bayern niemand einschläft. “Leipzig hat 4:1 gewonnen. Wir haben neben Dortmund jetzt einen neuen Feind”, zischte er. Die klare Sprache ist schon aufgewacht.

Im Video: Hoeneß’ beste Sprüche