Wie Corona den Fußball nach 2020 für immer verändern kann

Der Fußball und seine Protagonisten galten als unantastbare Instanzen – bis das Virus kam. Und während so mancher Verein trotz Corona-Pandemie in größenwahnsinnigen Plänen seine Rettung sucht, könnte die wirtschaftliche Sorglosigkeit in naher Zukunft tatsächlich ganze Klubs in die Knie zwingen.

Aufschrift "Corona Area" im Frankfurter Stadion (Bild: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)
Aufschrift "Corona Area" im Frankfurter Stadion (Bild: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Es ist erst ein paar Wochen her, da gab Herbert Hainer, der Präsident des FC Bayern, der Welt am Sonntag ein Interview. "Ich denke", sagte Hainer da, "dass schon in den vergangenen Monaten mehr Demut zu erkennen war. In Gesprächen mit anderen Klubs merke ich, dass die Erkenntnis wächst, dass es so wie zuletzt nicht mehr weitergehen kann."

Nicht so wie zuletzt. Also mit dem zügellosen Umgang mit Geld; mit rücksichtlosen Weltvereinen, die sich mit Fantasieablösen und -gehältern überboten.

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Wird 2020 also zum Ursprung eines neuen Fußballs? Einem, in dem mehr Vernunft und die Erkenntnis herrscht, dass alles außer Kontrolle geraten war? Oder wird das Corona-Jahr 2020 zu einem Brandbeschleuniger einer Entwicklung, an deren Ende sich der Fußball – zumindest in Teilen – selbst auffrisst?

Fußball als Vorbild in der Pandemie

Demut ist in jedem Fall ein gutes Stichwort. Die herrschte nämlich am Anfang noch, als der Sport im Frühjahr zum erliegen kam. In einer insgesamt surrealen Situation für viele wohl das letzte Signal, dass hier irgendetwas Großes passiert. Wenn sogar der Fußball und seine Protagonisten, diese unantastbaren Instanzen, nicht mehr spielen durften.

Ohne Spiele gab es auch keine Zuschauer, und ohne diese brach den Vereinen eine essenzielle Einnahmequelle weg. Um selbiges für die Fernsehgelder zu vermeiden, arbeitete die DFL mit Panik, Hochdruck und, ja, Demut an einem Konzept, wie man zumindest Spiele in leeren Stadien austragen könne. Ohne diese brauche man sich nämlich „keine Gedanken mehr machen, ob wir künftig mit 18 oder 20 Profi-Clubs spielen“, warnte DFL-Chef Christian Seifert. Dann wird es nämlich nicht mehr genügend Profiklubs geben.

Und so lief die Bundesliga im Mai wieder an. Mit einem von der Politik in höchsten Tönen gelobten Hygiene- und Sicherheitskonzept. Einem, das für Sportligen rund um den Globus zum Vorbild wurde. "Man hat hier den Eindruck", sagt der für Real Madrid spielende Toni Kroos damals, "wenn die Deutschen das nicht hinkriegen, dann keiner".

Corona bringt die Vereine an den finanziellen Abgrund

Seit einem guten halben Jahr wird also wieder gespielt. Corona brachte die ganze Welt zum Stillstand, doch die Maschinerie Fußball ließ sich nur kurz aufhalten. Und, sieht man mal von den fehlenden Fans ab, läuft wieder in seinen Bahnen. Zumindest scheint es so.

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Denn: Corona hat nach wie vor das Potenzial den Fußball zu verändern. Nicht kurzfristig, mit Pause und Unterbrechungen – sondern für immer. So hat es sich klar gezeigt, dass die Klubs einen harten Kampf ums Überleben kämpfen, und zwar primär jeder für sich alleine. Egal, ob es da um Solidaritätsfonds für angeschlagene Klubs ging, die beispielsweise BVB-Boss Hans-Joachim Watzke mit den Worten "Ehrlicherweise sind wir auch Konkurrenten" ablehnte, oder um eine neue Verteilung der Fernsehgelder, was in einer offen ausgetragenen Fehde endete. Viele Klubs sind wirtschaftlich nicht nur am Limit, sondern weit darüber.

Dazu braucht es hierzulande nur einen Blick zum FC Schalke 04. Abgesehen von der aktuellen sportlichen Talfahrt ist auch die finanzielle Lage verheerend. Die im Mai nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs geflossenen Gelder mussten direkt verpfändet werden, später im Sommer bekam der Bundesligist sogar eine Bürgschaft vom Land Nordrhein-Westfalen, dabei soll es sich um einen Kredit von 35 Millionen Euro gehandelt haben. Alleine das Beispiel der Königsblauen zeigt: Sollte die Politik damit aufhören, für den Fußball beide Augen zuzudrücken und auch die Bundesliga in den nächsten Lockdown schicken, könnte das auch große Traditionsvereine von der Landkarte verschwinden lassen.

FC Barcelona wendet Bankrott ab

International richteten sich diesbezüglich kürzlich alle Augen auf den FC Barcelona. Freilich bei Weitem nicht der einzige Topklub mit einem Schuldenberg, doch drückt dieser bei den Katalanen mit 820 Millionen Euro Bruttoschulden gewaltig. Die Reise- und Zuschauerverbote treffen den auf Touristen angewiesenen Klub besonders hart, 300 Millionen Euro Einnahmen habe die Pandemie die Blaugrana bislang gekostet, verriet der Klub selbst.

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Und so ist es am Ende den Spielern zu verdanken, dass der befürchtete Bankrott im Januar nicht eintreten wird. Lionel Messi und Co. werden wie schon zu Beginn der Coronakrise auf Teile ihres Gehalts verzichten, um für den Klub notwenige finanzielle Mittel frei zu machen. Wenngleich das alles erst nach langen, harten Verhandlungen geschah – so wollte die Mannschaft eigentlich die eklatante Misswirtschaft der Vereinsoberen nicht noch einmal ausbaden, die in den zurückliegenden Jahren abstrus mit Ablösen und Gehältern um sich geworfen hatten.

Europäische Superliga wegen Corona ernstes Thema

Und dann wäre da ja noch das Abschiedsgeschenk, dass der scheidende Barca-Präsident Josep Bartomeu der Fußballwelt hinterlassen hatte. Dieser bestätigte auf seiner Rücktritts-PK nämlich Hinterzimmerdeals bezüglich einer europäischen Superliga. Und sprach einen Satz aus, den viele andere Klubbosse bislang nur gedacht haben: "Der FC Barcelona wir in einer zukünftiger europäischen Superliga mitspielen, die die finanzielle Stabilität des Klubs garantiert."

Nun geistert die Idee einer Superliga schon lange umher und war in "normalen" Zeiten eher ein warnendes Beispiel von der unendlichen Gier der Großklubs als eine ernstzunehmende Gefahr – doch könnte diese Idee, so obszön sie gerade zu Pandemiezeiten klingen mag, bei immer mehr potenziellen Mitgliedern Anklang finden. Zumindest, wenn man vor Wahl steht zwischen einem (möglichen) Bankrott und der Mitgliedschaft in einer Eliteliga. Schließlich wäre diese losgelöst von einem Dachverband, von der US-Bank JP Morgan mit fünf Milliarden Dollar gesponsert und läge in Sachen Einnahmequellen wie Tickets in der Hand der Vereine.

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Es scheint immer noch surreal, dass eine derartige Luxusliga ins Leben berufen wird. Zumal vermeintlich fest eingeplant Teilnehmer wie der FC Bayern weiterhin beteuern, von keinen Plänen zu wissen und mit dem Status Quo in Sachen internationale Wettbewerbe zufrieden zu sein. Doch hat die Coronapandemie diese Liga, für die September 2022 als mögliches Startdatum genannt wird, ein bisschen wahrscheinlicher gemacht.

Und falls sie kommt, wird das eine nie dagewesene Kettenreaktion auslösen, die nationalen Ligen abwerten und beinahe alle anderen Wettbewerbe zerfallen lassen. Dann hätte COVID-19 sicher seinen Teil dazu beigetragen, den Fußball für immer zu verändern.

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